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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Erst als Schmidt und die ganze Republik es mit der RAF zu tun kriegten, kamen die Russen wieder auf einen Geschmack. Um so mehr, da sie mit von Wrangels Hilfe ja schon einmal in die quasikommunistische Haltung westdeutscher Jugend investiert hatten, und so waren sie bereit, auch in diese neue Generation zu investieren. Sie holten von Wrangel aus dem Fischkombinat und setzten ihn mit der Stasi zusammen. Er sollte seine eigenen Erhebungen zu Ursache und Wirkung des Nach-68er-Komplexes mit dem vergleichen, was die Stasi angesammelt hatte. Er sollte aus Schnittmengen von Geheimdienst, Sozialdarwinismus oder auch Wirtschaftswissenschaften neue Schlüsse ziehen. Und auch aus der eher belustigenden Hilflosigkeit der BRD , mit der die Baader-Meinhof-Gruppe so dramatisch hochgezüchtet worden war, sollte er neue Schlüsse ziehen und Wege aufzeigen, wie man einem Staat, der sich so verzweifelt an seine Demokratie klammerte, den Dolchstoß versetzen konnte.
    Um seine Expertise zu erstellen, ließ von Wrangel sich in Rostock einen Fernseher mit makellosem Westempfang aufbauen; zudem wurden ihm Tageszeitungen und Magazine geliefert, und so machte er sich an seine Untersuchungen. Dabei konzentrierte er sich auf den westdeutschen Volksgeist, der sich nach wie vor unterordnete, der nach wie vor auf konservative Werte ausgerichtet war und sich populistisch lenken ließ. Da er selber wußte, wie sich mit schwallenden Phrasen oder verstümmelter Griffigkeit festverschaltete Reflexe installieren ließen, ist es kein Wunder, daß von Wrangel vor allem zwei spezielle Instrumente zur Lenkung untersuchte – die Rhetorik der Politiker und daneben die Methoden der Sensationspresse.
    Bei den Politikern stellte er fest, daß sie allein schon aufgrund ihrer Positionen wie Väter erschienen, die stets das Gute wollten. Dabei war es egal, daß sie das Gute verschachtelten und verzerrten; daß ihre Worte frei waren von jeder Aussage und zuletzt nur noch wie eine destillierte und in jede Richtung biegsame Verblendung dastanden. Noch das Sabbern und Lallen und Lügen dieser Männer sickerte als Wahrheit in die Volksseele und nährten das Bedürfnis nach nationaler Identifikation.
    Auch hinter den Wirkungen der Sensationspresse offenbarte von Wrangel eine Methode, die ganz gezielt mit dem westdeutschen Unterwerfungscharakter kalkulierte. Die sich gerade diese unterdrückte Energie zunutze machte und sie über griffige Verstümmelungen in gewünschte Richtungen transformierte, so daß auch von dieser Seite nach Belieben Wahrheiten in die Köpfe gehämmert werden konnten. Oder Emotionen in die Seelen.
    Parallel dazu untersuchte von Wrangel die untergründigen Kampfbewegungen beziehungsweise die mögliche Schlagkraft gegen den Apparat West. Dazu festigte er noch einmal seine schon früher dargelegten Einschätzungen zur Systemverweigerung der jungen Linken, die sich in Formen von Drogen, Sex und Gammeln bis hin zu einer schußbereiten Ideologie offenbarten – eine folgerichtige Reaktion, wie er meinte, auf einen staatsmonopolisierten Kapitalismus. Beziehungsweise auf das amerikanische Vorbild vom Glauben an die Freiheit, während in Wirklichkeit der Zwang zu kapitalistischem Gehorsam praktiziert wurde. Während in Wirklichkeit die Amerikanisierung der BRD nichts weiter war als ein despotischer Materialismus, der die Unterdrückung und Ausbeutung anderer zum stillen Recht machte und zur Basis des eigenen Konsumglücks. Und auf dieser Grundlage, notierte von Wrangel, müsse zwangsweise ein Ekel entstehen in der jungen westdeutschen Nachkriegsgeneration, zumal in der linken Intelligenz. Ein existentialistischer Ekel gegen diese Wohlstandsgesellschaft, die sich mit Hilfe ihrer Verbündeten radikal an der Welt mästete. Aber auch Ekel vor einer Zukunft, die sich auf den vergifteten Fundamenten der Alten aufbaute, und so war der bewaffnete Widerstand nur eine logische Konsequenz, und in von Wrangels Schlußfolgerung sprach nichts dagegen, diese Art des Untergrundkampfes gegen den Klassenfeind zu unterstützen.
    Zugleich aber machte er deutlich, daß mit einer tatsächlichen Schlagkraft dieser sogenannten Revolutionäre nicht zu rechnen sei: Den gewünschten Dolchstoß gegen den Staat, meinte er, würden sie nicht setzen können.
    Auch diese neue Generation blieb für ihn kapitalistisch geprägt und somit degeneriert. Und nur die lächerliche Verweigerung

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