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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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machte Fortschritte mit seinen Stören, gelegentlich war er auf einem Kongreß, und regelmäßig fuhr er heim in die Uckermark. Die Russenhure führte das Gesindehaus, die Zwillinge wuchsen heran. Ein Mädchen und ein Junge, Verena und Gregor, und von Wrangel kümmerte sich darum, daß sie von Anfang an gut ausgebildet wurden. Außer in die Dorf- und Kleinstadtschulen schickte er sie bald in Kaderschmieden, und zugleich sorgte er dafür, daß es ihrer Mutter gutging. Ein Teil des Familienguts wurde schließlich auch in eine LPG eingegliedert, Gebäude wurden wieder genutzt, Flächen bestellt, und die Hure bewirtschaftete die Landarbeiter.
    Willy Brandt war ein Mann, der anscheinend gerne in den Ostblock reiste. Er saß oft mit den Russen an einem Tisch und hatte keine Probleme, Kategorien über Bord zu werfen. Als er im Warschauer Ghetto auf die Knie fiel, war auch von Wrangel nicht fern. Tatsächlich trafen sich zu der Zeit einige Ichthyologen, nichts Großes, und von daher scheint es auf den ersten Blick erstaunlich, daß die Russen so eine Koryphäe schickten. Einen Mann zudem, der sich mitten aus dem Naziorganismus heraus einfach aufgelöst hatte und der in Warschau nun nicht nur geballt auf Überlebende treffen konnte, sondern obendrein noch auf die Eichmann-Jäger. Und so erscheint von Wrangels Warschaubesuch auf den zweiten Blick als knallhartes Kalkül der Russen – nichtwahr: Wenn er Warschau überstand, lohnten sich auch die Investitionen in seine Zukunft. Zugleich unterstreicht diese Episode noch einmal von Wrangels draufgängerische Eigenschaften, die er schon auf den Reit- und Fechtturnieren unter Beweis gestellt hatte. Und tatsächlich flutschte er durch das Getümmel aus sich verbeugender Westpolitik, Holocaust-Überlebenden und Geheimdiensten, als hätte er nie eine Vergangenheit gehabt.
    Zwei Jahre später tauchte er bei den Olympischen Spielen auf. Er erhob sich aus seinem Diplomatenplatz und hatte eine Hand am Herzen, wenn die Hymnen von DDR und Sowjetunion gespielt wurden. Doch in Wirklichkeit war er natürlich nicht fürs Frenetische auf dieses erste sportliche Großereignis beim Klassenfeind abkommandiert. Rund um den Trubel waren auch Wissenschaftler aus aller Welt zugegen, und die Russen sorgten dafür, daß von Wrangel in einen kleinen Kreis von Molekulargenetikern vorstoßen konnte. Es war die Zeit, in der sich eine neue Disziplin herausbildete, die Gentechnik, und von Wrangel traf auf die Köpfe führender Institute, Männer aus Schottland, Neu-Mexiko oder Japan. Natürlich hatten sie von den Arbeiten des Rostocker Ichthyologen gehört, doch fachübergreifendes Denken hatte in ihrer wissenschaftlichen Hierarchie wenig Platz, und so sahen sie anfangs nur den Fischforscher. Von Wrangel selber überwand seine Eitelkeit zugunsten eines höheren Ziels, und als wäre es nichts, hielt er sich an seine Rolle mit niedrigem Dominanzwert und entfaltete von dort seine Fähigkeiten. Schleichend offenbarte er sein Fachwissen; er scheute sich auch nicht, andersdenkende Wissenschaftler zu zitieren, und machte die Beschreibung der Welt zu etwas, was immer eine notwendige Beschreibung ihres Beschreibers voraussetzte. Er nahm die molekularen Grundlagen der Lebensprozesse, zog daraus die Möglichkeiten gezielter Manipulationen am Beispiel der Störe und koppelte daran seine aus Experimenten gewonnenen Beweise. Daß er schließlich bis in den Kern der Gentechnik stieß, bis in die geheimsten Visionen dieser Männer, schien ihm nicht bewußt, und von dieser arglosen Position ging er schließlich daran, Einfluß auf die großen Wissenschaftler zu nehmen. Mehr und mehr lenkte er Wahrnehmung und Interpretation seiner Worte, und die Männer aus den Instituten ahnten nicht, wie von Wrangel aus ihren Einwürfen seine Informationen zog. Wie sie in Wirklichkeit Fragen beantworteten, die er nie gestellt hatte, und wie er so ihr Spezialwissen in neue Blickwinkel für sich umwandelte. Und während die Wissenschaftler Expressivität mit ihm diskutierten oder replizierbare Moleküle, rüstete er die Russen auf in der Gentechnologie und sammelte zugleich Informationen rings um die Phänomene des Schädels.
    Daß dann das Massaker ins Olympische Dorf stieß, gehörte anscheinend nicht zum Plan. Unter dem Schock der Eindrücke reisten die Wissenschaftler ab, und die Russen waren

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