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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Kollektiv in der Lage war, mußten von seiner Warte wie störende Faktoren wirken. Was immer sie im Kombinat hervorbrachten, von Wrangel hatte es längst erfaßt und in seine Pläne einbezogen.
    Natürlich verschaffte er sich dadurch einen Nimbus. Doch in erster Linie machte ihn diese Überlegenheit unheimlich, und die berufliche Unantastbarkeit entrückte ihn auch menschlich. Es gab niemanden, der ihm nahestand, und keine Anzeichen dafür, daß er überhaupt menschlicher Nähe bedurfte. Auch sein erstaunlich gutes Verhältnis zu den Russen war stets sachlicher Natur.
    Trotz dieser berechenbaren Eigenschaften blieb von Wrangel aber äußerst umtriebig und konnte jederzeit überraschen. Niemand wußte, ob er dem Kombinat für Stunden oder Tage fernblieb, und wenn alle sicher waren, er wäre nicht da, stand er plötzlich neben einem Zuchtbecken, trat aus dem Schatten der Gänge oder wartete bereits in einem Labor. Und wenn er tatsächlich nicht da war und erst nach Wochen wiederkam, stieg er wieder in die laufenden Vorgänge, als wäre seine Abwesenheit nur eine Illusion gewesen. Er schien immer über alles informiert und konnte alle Mutmaßungen über seinen Aufenthaltsort zu jeder Zeit zerstreuen.
    So führte von Wrangel das Kombinat. Ein kleiner Mann, drahtig und mit dünner Haut über dem Schädel, die sein Alter seltsam unbestimmbar machte. Er bevorzugte schmale Brillen in Gold, hatte aber stets noch andere Gestelle in der Tasche; Kastenmodelle, edles Horn oder viel zu großes Plastik in Tropfenform. Eine ähnliche Wandelbarkeit zeigte er in seinen Kleidern; auch wenn er Anzug und Halsbinde bevorzugte, konnte er in immer wieder neuen Variationen überraschen. Und es kam nicht selten vor, daß er, eben noch ganz klassisch mit Hut und Weste, kaum später italienisch modern auftauchte, mit unglaublichen Zugeständnissen an Farbe und Schnitt, so daß seine Gestalt stets von äußerlichen Schattierungen verwandelt und beinah ungreifbar schien. Und noch in der Wahl seiner Arbeitskittel blieb er unberechenbar; er trug das schlichte Kombinatsweiß ebenso wie den herrischen Arztkittel oder ein langschwänziges Gewand. Allein seinen Stock hielt von Wrangel immer bei sich, egal, wie er gekleidet war. Ein feines Modell mit Goldknauf, das er jedoch nicht als Gehhilfe benutzte, sondern mit dem er seine Aura erweiterte. So ließ er den Stock rotieren, öffnete Türen mit ihm oder markierte Befehle. So tanzte der Stock zwischen seinen Händen, nachgerade spielerisch, um plötzlich wie ein Florett vorzustoßen und einen Untergebenen festzunageln.
    Auch wenn er auf Stippvisite in die Uckermark fuhr, hielt er seine zwischenmenschliche Distanz. Er hatte wohl die obligaten Mitbringsel dabei, Riesenrad vom Prater oder Finlandia-Haus, und die Russenhure hatte eine Vitrine dafür angeschafft. Sie hatte sogar eine Wand mit seinen Ansichtskarten hergerichtet, doch im Grunde blieb das Verhältnis der beiden wie der immer gleiche Text: Es grüßt, Ihr G. Und auch wenn von Wrangel sich stets danach erkundigte, ob es an irgend etwas fehlte, und er die Mißstände dann aus der Welt brachte, kam doch nie eine Spur von Wärme auf. Zwischenmenschlich bleibt er nichtssagend wie sein Nippes und seine Karten, und er pflegt eine berechnende Art, hinter der er kategorisch alle Wege zu seinem Inneren versperrt hält. Nicht mal wenn die Russenhure ihn mit ihrer Kunst bekochte, sah man ihm etwas an. Er aß seltsam automatisch, und die Plaudereien bei Tisch waren nicht anders. Er erzählte wohl davon, wie sie im Marschenland Brägenwurst zubereiteten, und auch über Fisch konnte er sprechen, Bismarck oder Bückling, doch was ihn antrieb und wie die Dinge, die er zu seinen Dingen machte, ihn bewirkten, ließ er mit keiner Faser anklingen. Er aß gerne Schlachtplatte und trank einen Trollinger dazu. Er saß am Ofen und las Nietzsche.
    Seit von Wrangel die Zwillinge in die Kaderschmieden verbracht hatte, kamen sie nur noch selten auf Besuch. Sie waren groß geworden, beide kräftig, gut trainiert und mit willensstarken Gesichtern. Doch wenn er im Gesindehaus war, verblaßte diese Ausstrahlung; Verena und Gregor offenbarten den angezüchteten Drill, und von Wrangel erschien wie eine seltsam väterliche Überordnung.
    Nach dem Deutschen Herbst holten die Russen den Georgischen Schädel aus der Bathysphäre. Er ging

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