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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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sich dieses Lächeln auf der Erde in slawische Gerissenheit verwandelte und allen angst machte. Erst recht seiner Mutter und Kronhardt, und am Nachthimmel suchte Willem nach dem Wostok-Schiff, um dem Major zuzuwinken. Er stellte sich Juri Gagarin als einen guten Menschen vor. Vielleicht würde dieser Russe bald auf einem Stern landen, und dort wäre eine Welt, in der sein Vater lebte; und dann würde das Wostok-Schiff kommen und Willem zu ihm bringen.
    Während Willem Leitungswasser trank, süffelte der dicke Siegfried Cola. Dabei wienerte er seine Blechautos, vertiefte sich in zweifarbige Lackierungen und Weißwandreifen, die Chromhörner der Stoßstangen nannte er Brüste meiner Mutter, und die Kühlerfiguren waren Göttinnen der Zukunft.
    Dann bekam der Dicke seine ersten Soldaten. Plastikdivisionen, die er aus Schachteln mit unglaublichen Motiven schüttelte, und sobald er seine Kampfreihen geordnet hatte, bestand er darauf, die Deutschen anzuführen. Alle Mann in die Bunker, rief er, die Russen kommen, und es schien ausgemacht, daß er die Schlachten gewann. Doch Willem nahm die Deutschen im Handstreich; nahm die Amis im Handstreich, und der Dicke wurde zornig und zerquetschte die Soldaten und das ganze Schlachtfeld. Wenn seine Mutter dann ins Zimmer kam, versenkte sie ihre runden Fäuste in den Hüften, und er saß wie ein fettes Kaninchen und heulte stumm.
    Zu Hause wußte Willems Mutter schon Bescheid. Der eigene Sohn, rief sie, fahre ihr in die Parade. Meine Güte, Siegfrieds Vater sei Generalvertreter für den Norden – ob das denn nicht in Willems Schädel ginge. So ein Mann habe Beziehungen, er sei in Amerika gewesen und wisse, daß Konjunktur steigerbar sei; gemeinsame Interessen, rief die Mutter, gebündelte Energien und Boom, rief sie, und Willem fand schließlich heraus, daß es um Schnellrestaurants ging.
    Eine wunderbare Erfindung, rief die Mutter, eine greifbare Vision, die jeden Augenblick aus Amerika nach Deutschland überspringen müsse, und ruckzuck würde sich hier eine Kette deutscher Kultur installieren – Bratwurst und Kartoffelsalat, und zur Identifikation für die Kunden würden die Bediensteten Uniform tragen, Kittel und kecke Schiffchen mit einer Stickerei, nichtwahr, und voran natürlich das Cola-Emblem. Und darum solle Willem den Siegfried gefälligst bei den Soldatenspielen gewinnen lassen. Meine Güte, so blöd könne er doch nicht sein.
    Schließlich mischte sich Kronhardt in die Sache.
    Er organisierte ein Grillfest für die dicke Familie, er steckte Willem einen nagelneuen amerikanischen Truppenverband zu, und Siegfried entschied prompt, daß sie ihre Soldaten jetzt zusammentun und die ganze Welt platt machen könnten. Und als sein Vater und Kronhardt den Jungs beim Spielen zusahen, wollte Siegfried alles über den letzten Krieg wissen, und die Männer lächelten und sagten, daß Geschichte schon immer ein verdrehtes Ding gewesen sei, daß aber immer herauskäme, was herauskommen müsse – Amerika und Deutschland, sagten sie, jawoll, die gehörten zusammen, und dem Dicken glänzten die Augen, und die Männer steckten den Jungs einen Groschen zu. Doch Siegfried quengelte, er wollte mehr wissen über den Krieg, und noch als die Männer eine Bratwurst aßen, setzte er ihnen zu.
    Willem blieb abseits, trank Wasser und sah, wie die Männer ihre Wurst aßen; wie sich der gleiche Vorgang völlig unterschiedlich darstellte – eine triefende Einverleibung einerseits, eine seltsame Verwandlung, bei der das Gegessene die Gestalt des Essers annahm, so daß Siegfrieds Vater sich schließlich selber fraß. Und andererseits Kronhardt: schlank und groß, der die Wurst wie ein modisches Zubehör behandelte, ein Ding, das sich in cremig-brauner Farbe seinem Halstuch anpaßte und sich beinah elegant zwischen den Fingern auflöste. So standen die Männer am Grill, so hakten sie Vergangenheit ab und schienen gerüstet für die Zukunft.
    Willems erstes Zeugnis bestand aus Wörtern, und als es zu Hause auf dem Tisch lag, hockten die Mutter und Kronhardt darüber.
    Sie lasen einzeln, und sie lasen gemeinsam; sie verwandelten die Wörter zu Merkmalen, an denen sie Willem wiedererkannten, sie verwandelten sie in wunderbare Brenneisen, und voller Begeisterung hantierten sie damit.
    Natürlich war so ein Zeugnis Ausdruck von Macht, ein Urteil, mit dem

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