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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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kein Blick, nichts. Er verwilderte endgültig, und auch die Älteren machten einen Bogen um ihn. Sogar Ferdinand Lasalle. Und der Patrizia ihre dicken Dinger, sagte Harald, könnte man dem glattweg vors Gesicht binden. So schien Achim im inneren Exil.
    Patrizia selber gab sich, als kriegte sie von alldem nichts mit. Einer wie Achim war aus ihrer Welt gestrichen – nein: war doch nie in ihrer Welt gewesen. Und sie sagte das ganz ernst. Keine Anzeichen von Boshaftigkeit oder Triumph. Nichts, ihre hübschen Züge einfach wie aus Elfenbein geschnitten, und so sah sie Willem in die Augen und schien fest von ihren Worten überzeugt. Ich weiß wirklich nicht, wovon du redest, sagte sie. Was für ein Überfall und was für ein Anwalt und was hat Ferdi damit zu tun?
    Willem war erstaunt darüber, wie selbstverständlich sich Wahrheit anscheinend verschieben ließ. Ein Phänomen, meinte er, das einen die Welt heute so und morgen so sehen ließ. Doch tatsächlich ahnte er dahinter das ganze Ausmaß ihrer aristokratischen Arroganz.
    Achim jedoch wurde in seiner Haltung immer konsequenter und erschien bald wie herausgestiegen aus einer Anekdote des Lateinlehrers – ein schamloser Rebell, der alle Gesellschaftsregeln verweigerte. Und so war es leicht vorauszusehen, daß er auch noch die letzten Regeln am Alten Gymnasium brechen würde, und tatsächlich verließ er in den Pausen bald das Schulgrundstück und drang ein in die Privilegien der Oberstufe.
    Es waren halbwegs Erwachsene, die dort standen. Die Mädchen bereits junge Frauen, und die Gesichter der Jungs auf eine Zukunft ausgerichtet, die nichts mehr mit Weichheit zu tun hatte. Sie trafen sich im Park zwischen Schule und Stadthalle, auf öffentlichem Grund, und in der Mitte stand ein großer Elefant, ein Monument, das an Deutschlands Kolonial- und Kaiserzeit erinnern sollte. Dort rauchten sie, diskutierten, äfften die Alten nach und hatten mit dem Schulhof nichts zu tun. Manchmal waren auch Burschen da auf dicken Einzylindermaschinen, die bereits arbeiteten oder bald zur Bundeswehr mußten und die sich über die Lehrer lustig machten, weil die Schulordnung keinen Zugriff mehr auf sie hatte.
    Im Grunde war es natürlich streng verboten, das Schulgrundstück überhaupt zu verlassen. Doch damals, als Deutschland der Krieg noch ganz frisch in den Knochen steckte, hatte die Oberstufe einen Keil in dieses Verbot getrieben, und alle strenge Maßregelung hatte die Situation nur verschlimmert. Einige der Lehrer hatten sogar Prügel bezogen, und am Alten Gymnasium mußten sie bald einsehen, daß diese Halbstarken draufgängerisch waren und nichts mehr mit den verknöcherten Strukturen der Alten zu tun haben wollten. Sie waren ausgebrannt von den Kriegserlebnissen ihrer Kindheit, hungrig nach Neuem. Buñuel oder Dean waren ihre Helden, sie gaben ihnen das Ichgefühl zurück, das die Massenpropaganda zu Brei geschlagen hatte. Und dann kam die Musik, Elvis landete in Bremerhaven an, und in den Tanzschuppen ließen sie ihre ganze Wildheit heraus und erschufen sich eine Welt, aus der die Alten kategorisch ausgeschlossen blieben. Damals hatten sie den Elefanten zu ihrem Platz gemacht, und die Lehrer hatten keine Chance gehabt.
    Später hatten die nachrückenden Oberstufen den Elefanten übernommen, und aus ihrer Erfahrung heraus hatten die Lehrer sich darauf geeinigt, pädagogische Zugeständnisse an die Zeit zu machen. Sie ließen sie gewähren, demonstrierten jedoch Präsenz und schlenderten täglich um den Elefanten.
    Und so zogen sie noch immer ihre Runden, gaben sich arglos, die Hände auf dem Rücken, und grinsten gegen jede Stichelei; die Lehrer wußten, daß sie alle wieder in ihren Machtbereich zurückkommen würden, und nicht das Scharmützel, sagten sie, sondern die Schlacht gelte es zu gewinnen. Und so zogen sie stoisch ihre Runden und markierten zugleich die Bannmeile für die Jüngeren.
    Und Achim-das-Tier brach diese Meile.
    Er setzte sich einfach hinweg über ein Abkommen, das seine Berechtigung aus historischer Tiefe zog, und tauchte in seiner verwilderten Art am Elefanten auf. Kein Nicken, kein Wort, nichts. So strich er um die Oberstufe, spuckte, war ruppig in seinen Bewegungen, und durch sein Haar erschienen die Augen wie dunkle Höhlen.
    Die anderen wußten wohl, daß er nicht hierhergehörte, doch sie beachteten ihn nicht. Sie

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