Kronhardt
Schwarzgelockte zum Beispiel, sagte er. Da kribbelts mir im Kopf.
Im Sommer fing Willem an zu rauchen, und manchmal pfiff er den Mädchen hinterher. Von den Kippen wurde ihm schlecht, und eines der Mädchen, die Schwarzgelockte, stellte ihn nach einem Pfiff zur Rede. Steht da, sagte sie, pafft und gibt sich wie ein Herrchen. Und das Frauchen muà kommen, was! Und ohne Ãbergang stieà sie Willem um und sprang rittlings auf. Was ist! Will das Herrchen etwa nicht?
Schlosser und die Halbstarken lachten.
Sie hieà Gisela, und ihre Locken bewegten sich mit jedem Wort. Wie ihr lachen könnt, rief sie. Wie eure Alten, und dann spuckte sie drauf.
Schlosser zog Willem hoch, und sie sahen diesem Mädchen hinterher.
Meine Fresse, sagte Schlosser, und Willem entschied, daà er erst gar nicht so zu tun brauche, als sei er ein dominanter Typ.
Sie waren im Teufelsmoor gewesen, und Willem hatte gehofft, ein paar Trappen zu sehen. Doch die groÃen Vögel blieben verschwunden, und ein alter Mann, den sie unterwegs danach fragten, meinte, die Torfgesellschaft wäre schuld. Und er hatte den Jungs gezeigt, wo Bagger und Loren arbeiteten; das Land offen bis in den Horizont, ein weiches, pulsierendes Organ, in das sich Ketten und Schaufeln fraÃen.
Auf dem Rückweg sahen sie Kraniche; sie zogen in Formation dahin, ihre Rufe heiser unter dem tiefen Himmel. Sie sahen Füchse auf den Heuwiesen, die nach Mäusen pirschten und in den Schnitt hineinsprangen. In der Luft rüttelten Falken, voran bog sich die Wümme durch die Feuchtwiesen, die Lichtreflexe wie Schuppen, und als eine Brise die Schilfgürtel erfaÃte, entwickelten sich goldene Wirbel.
Zur Stadt hin stiegen die Neubauten auf; bereits aus der Ferne eine gezackte Mauer, die den sanften Ãbergang vom Tiefland zur FluÃdüne endgültig abriegelte. Und vor den Neubauten gab es jetzt eine Autobahn, breit wie ein Kontinentalgraben, und es dauerte fünf Minuten, bis beide Spuren frei waren. Dann traten die Jungs in die Pedale und johlten.
Die Verwandlungswelt von einst war jetzt geordnet und hübsch gemacht, die Bäume waren jung und an Pfähle gebunden, der Rasen bewässert. Die StraÃenbänder glänzten, Autos standen auf markierten Plätzen, Wäsche flatterte, und die Mütter plauderten um die Sandkästen herum. Als hätten sich die Bilder von den Bauherrentafeln herausgebläht. Als wären die Architektenmodelle Vorlage gewesen für eine neue Welt. Sogar der Himmel konnte geschrumpft erscheinen, und sie hörten einen Wellensittich.
Willem entdeckte das Hochhaus zuerst.
Mensch, Schlosser, sagte er, und so etwas hatten sie beide noch nicht gesehen. So glatt, so ohne Spuren; wie Neuschnee, sagten sie, und makellos noch gegen die Sonne. Auf einem groÃen AbreiÃkalender hinter der Tür lasen sie: Feierliche Eröffnung übermorgen â der Bürgermeister spricht.
Wann kriegt man so was schon zu sehen, sagten sie. Hundert nagelneue Wohneinheiten vor der Entjungferung. In Reihe und gestapelt, und sie drangen ein durch ein Kellerlicht.
Willem hatte ein Gefühl wie damals in den Trümmern. Als er sich mit Hans in den Karkassen und Tracheen wie nach dem Untergang einer Zivilisation gefühlt hatte; wie ein Juri Gagarin, wie ein erster Mensch.
Schlosser bemerkte auf Anhieb das Prinzip des Austauschsystems; aller Raum war in gleiche Einheiten aufgeteilt, und nur Installationen und Farben markierten den Nutzen.
SchlieÃlich setzten sie sich in eine Küche im zehnten Stock, Schlosser rauchte, und sie machten sich ihre Gedanken. In der Küche war alles genormt, voll ausgestattet, und es gab keine Möglichkeit für Umbau oder eigene Möbel. Jede Wette, meinten die Jungs, daà da Philosophen drüber gebrütet hatten. Soziologen, Psychologen, und wahrscheinlich hatten sie jahrelange Testläufe gefahren in eigens dafür konzipierten Werkstätten; endlose Fallstudien mit dicken Hausfrauen und dünnen, mit kleinen und groÃen, und dann nationale Tagungen und internationale, ein langer Weg, meinten sie, bis zur idealen Küchenformel. Sechs Quadratmeter gleichgeschaltete Effizienz für die Hausfrau, und jeder Handgriff saÃ. Eine Formel, meinten sie, die der deutschen Frau Zeit schenken würde. Zeit für die elementaren Dinge, und so schienen diese Küchen eine Keimzelle deutschen Familienglücks zu sein, eine akademische Formel zum Wohle des deutschen
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