Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
Vom Netzwerk:
vom Urknall bis zum Menschen – entwickelt hatte und fähig war, über Kaiserwetter und Amboß zu reflektieren.
    So saßen die Jungs am Baggersee.
    Ostwärts hatte sich der Himmel von Violett ins beinah Schwarze verschoben, während es im Zenit schon wieder aufhellte. Bald gleißte eine weiße Sonne, bald langten erste Strahlen in den See, und zum Horizont hin konnten sie die Blitze sehen.
    Wasser und Erde dampften noch, erste Vögel sangen wieder, und rings in den Wipfeln funkelten die Tropfen. Und die Jungs kamen überein, daß die Menschen ganz klar in diese seltsame Sache eingebunden sein mußten. Nichtwahr, daß auch sie aus nur wenig veränderten Anfangsbedingungen unterschiedliche Realitäten entwickelten.
    An den öffentlichen Baggerkuhlen waren die Familienlager. Mit karierten Decken, Sonnenschirmen und Kühltaschen, und wenn die Jungs sich dazwischen legten, gaben sie sich arglos. In Wirklichkeit entwickelten sie Strategien, um soviel wie möglich zu sehen – die Töchter, die in ihren Schwimmröcken Federball spielten, die Frauen im besten Alter. So klopften sie einen Bauernskat, aßen ihre Frikadellen und tranken Florida Boy; aus den Kofferradios spielte Beatmusik, und manchmal lief etwas aus der Hörfolge: Ich jagte Eichmann. Dann rückten die Älteren zusammen und machten Gesichter, als hätte dieser Eichmann alle Schuld. Als hätte dieser Eichmann sie alle getäuscht und reingerissen, und daß er jetzt aufgespürt und gehenkt war, schien Beweis ihrer eigenen Unschuld.
    Willem und Schlosser hatten schnell raus, wo sich diese potentiellen Eichmann-Trauben bilden konnten. Sie wußten, daß diese Alten dann nichts um sich herum duldeten. Kein Federballspiel, keine aufreizenden Posen, und so entwickelten die Jungs ihre Strategien.
    Meist postierten sie sich in der Nähe des Wassers, ein unauffälliger Platz, der viele Blickwinkel bot. Dann lagen sie auf dem Bauch, und manchmal hatten sie das Glück, eine Frau in einem dieser neumodischen Bikinis zu sehen.
    Schlosser wußte, daß es in der Südsee ein Bikini-Atoll gab und daß die Frauen dort knappe Anzüge aus Ananashanf getragen hatten. Und dann waren die Amis gekommen, hatten die Insulaner einfach deportiert und in ihrer Heimat Atombomben gezündet. Das Atoll war unbewohnbar geworden, doch die Amis hatten die Bikini-Idee übernommen, und den Ananashanf äfften sie jetzt in Synthetics nach, und ihr kapitalistischer Motor spuckte diese Dinger in alle Welt.
    Willem mußte passen.
    Er erinnerte wohl die Bilder aus den Geschichtsbüchern, Hiroshima und Nagasaki. Doch daß die Amis danach weitergemacht und die kommunistische Bedrohung zur Legitimation genommen hatten, auch die Südseeheimat argloser Menschen zu zerstören, hatte er nicht gewußt.
    Atombomben gegen Menschenrechte, sagte Schlosser.
    Diese verfluchten Amis.
    Ach was. Russen, Chinesen, die sind alle gleich. Und daß wir jetzt hier liegen, sagte er, und all diese Bikinis uns schwer zu schaffen machen, ist doch ein ganz klares Beispiel für unvorhersehbare Entwicklungen. Wie unlängst mit dem Amboß, sagte er. Irgendwo furzt eine Kuhherde, und woanders gibts deswegen Gewitter. Irgendwo in Österreich brachte Mutter Hitler ihren Sohn zur Welt, der Sohn wurde wahnsinnig, und aus Hitlers Wahnsinn entwickelten die Amis dann das Manhattan-Projekt. Und später gingen sie mit ihren Atombomben aufs Atoll. So einfach läßt sich die Latte in deiner Badehose erklären.
    Die Jungs lachten mit brüchigen Stimmen, und rings die weiblichen Merkmale waren nur noch von ein bißchen Kunstfaser verhüllt – seltsam prall und glitzernd, und manchmal sahen sie im Schritt das eingeklemmte Schamhaar. Bikini, sagten sie, und diese unglaublichen Farben packten ihre Augen, und sie spürten das Feuer – diese gewaltige, nach Raum strebende Pilzwolkenglut, und so lagen sie auf dem Bauch, eine Realität, die sich so und nicht anders aus den seltsamen Verkettungen der Geschichte geformt hatte.
    Abends, wenn die Decken zusammengefaltet waren und die Leukoplastbomber vom Parkrasen starteten, gingen sie an die Plätze, wo die schönsten Frauen gelegen hatten, und manchmal fanden sie etwas.
    Mitte des Sommers entdeckten sie zwei neue Seen. Es waren mit Drahtzaun umstellte Zonen, und überall verboten Schilder den Zutritt und drohten bei Zuwiderhandlung. Auch wenn die Jungs keine Wächter

Weitere Kostenlose Bücher