Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
Vom Netzwerk:
stand sie auf und stieß ihren dicken Schädel in seine Beine. Stemmte und schnaufte, und bald funkelte der Sabber auf seinen Schuhen. Zirbel kraulte sie, und nach einer Zeit hockte sie sich hin und spähte mit dem Alten in die Welt.
    Der Spitz beobachtete die beiden. Schließlich schabte er mit den Hinterläufen über das Holz und drehte sich einmal um sich selber. Dann hob er die Schnauze gegen den Himmel, ein Zittern zog bis in die geringelte Rute, und er heulte. Ein langgezogenes Erbe, das von den Grubenrändern zurückschlug.
    So stand der Alte und mit ihm die Hunde.
    Bah-Jah-Jah. Und nach 45 , sagte er dann, bin ich Einzelgänger geworden. Das heißt, strenggenommen is man das sowieso. Keiner kommt aus seiner Haut, doch die meisten wolln davon nix wissen, und darum schwatzen sie ununterbrochen. Egal, was. So wie die Affen sich lausen, so schwatzen sie. Und mit ihren Worten verbiegen sie die Welt; stellen Fragen, auf die es keine Antworten gibt, machen einen zu jemand, der man gar nich sein will, und verstricken einen in ihre Sachen. Aber wir drei, sagte er. Wir halten uns da raus. Was!
    Und die Hunde blickten auf.
    Wir wolln bloß unsern Frieden. Und auch wenn keiner was davon mitkriegt, ändert das nix daran, daß es uns gutgeht.
    Die Boxerhündin wedelte mit dem Stummelschwanz. Der Spitz kläffte.
    Nach 45 hab ich mich dann selbständig gemacht. Hab mir ne Parzelle eingerichtet mit ner Werkstatt. Nix großes, zwei Zimmer, n Kanonenofen und ne Veranda mitm Schaukelstuhl. Das Wasser kommt ausm Brunnen, und zweimal im Jahr kommt der Scheißewagen und saugt das Plumpsklo leer. Ich bestell meinen Garten nachm Sonnenjahr, und ich hab zwei Bienenvölker. Und bis vor kurzem hab ich inner Werkstatt noch Bollerwagen gebaut und Kaspertheater. Immer beste Esche, und ich hab schöne Motive raufgemalt – was meint ihr wohl, was für Augen die Bälger gemacht ham. Da möcht man gar nich glauben, daß so was je erlöschen könnte.
    Na ja, die Bollerwagen und die Buden, damit is jetz Schluß. Gegen Preise und Infiltration der Warenhäuser, da kann son Einmannbetrieb nich gegen anstinken. Aber ich beklag mich nich. Nachtwächter is auch nich schlecht, und wenn man sich Freude und Demut erhält, kann man beinah überall seinen Frieden finden.
    Eine dunkle Gestalt mit flirrenden Rändern gegen das Abendlicht. So stand der Alte und spähte in die Welt. Dampfte die tiefe Glut in der Zigarre wieder an, spuckte, und die Hunde saßen da und spähten mit ihm.
    Nach einer Zeit sagte Willem: Warum machen Sie das?
    Was?
    Ich kenne sonst nur noch einen, der von sich und den Nazis spricht. Aber der hat bei denen nicht mitgemacht und war bis 45 weggesperrt.
    Zirbel sah seine Zigarre an. Man war ja quasi entmenschlicht. Und da spricht keiner gern drüber.
    Er saugte. Dann sagte er: Versteht das nich falsch, Jungs. Aber wie die Nazis n ganzes Volk einnorden konnten, da werdn noch die Staatsmänner der Zukunft von lernen. Die ham mit ganz ausgebufften Methoden gearbeitet, doch damals hat das kaum einer mitgekriegt. Man konnte sich geborgen fühlen in seinem Land und stolz sein, und daß man sich dabei selber verlorenging, fiel gar nich auf. Im Gegenteil.
    Eine Art Krankheit? sagte Willem. Ein Virus?
    Wenns ne Krankheit war, muß man natürlich alle Umstände mit ins Kalkül nehmen, die n ganzes Volk schwach machen können. Aber obs wirklich ne Krankheit war? Ich weiß nicht, Jungs. Er stand da und dampfte. Ich kann eigentlich nur sagen, wies bei mir war. Ich bin mit denen marschiert, auch wenn mir ihre Ideen im Grunde schietegal waren. Ich bin mitmarschiert, obwohl ich anner Westfront gewesen war und kaum noch was inner Hose hatte. Ich hab mich wohl gefühlt bei denen und hab mich mitreißen lassen. Ich hab diesen großen Rausch in mich reingelassen, und dann isser von innen wieder rausgekommen – versteht ihr, auf eine Art persönlich geworden, und wenn das bei allen so funktioniert hat, wer weiß, dann isses vielleicht doch ne Krankheit gewesen. Oder n Virus. Und dann is vielleicht jeder anfällig dafür, die eigene Persönlichkeit in Masse und Rausch aufgehn zu lassen, und die Umstände einer Epoche können n ganzes Volk erfassen. Und dann kanns eines Tages auch euch erwischen, Jungs. Versteht ihr das?
    Ja.
    Der Alte schob die Brille hoch und sah die Jungs an. Das könnt ihr nich verstehn.
    Nein.
    Und seid froh

Weitere Kostenlose Bücher