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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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wuselig in unsern Gräben, stülpten uns die Masken über, doch in dem Moment warn sie auch schon da. Sie hatten mit dem Gas geblufft und überrannten uns statt dessen mit Handgranaten und Gewehren. Die Kameraden lagen da wie tote Insekten, und bald lag ich auch so da.
    Als ich erwachte, war es Nacht. Ein Hund war im Graben und zerrte an der losen Hand eines Kameraden, bis sie abriß. Meine Hose war blutig. Hinter mir hörte ich schweres Gefecht, und am Morgen rollten die, die uns überrollt hatten, schon wieder zurück. Den ganzen Tag trampelten die auf mir rum, Holländer, Flamen oder Franzosen, und bald standen die so schwer unter Feuer, daß sie wieder in die Gräben zurückmußten, aus denen sie gestern gekommen waren.
    Meine Leute schwappten vor, s warn Ostfriesen, Preußen oder Mähren, und sobald sie bei mir warn, hob ich den Arm. Kamerad, sagte ich, und s war n kleiner Dicker mit gutmütigen Augen. Er legte sein Gewehr ab, zerrte den mit der abgebissenen Hand zur Seite, und dann hielt er das Verbandzeug in den Händen. In dem Augenblick hats ihn erwischt. Die eine Hälfte vom Gesicht war weg, und dann schwappte es wieder los.
    Die Hunde ham mich geweckt. Oder die Fliegen. Keine Ahnung, wie lange ich gelegen hatte. Die Sonne stand hoch, und ich hab den gutmütigen Dicken beiseite gerollt. Und mit der Dämmerung hab ich mich ausm Graben verholt. War alles erstarrt um mich rum, und s war egal, obs n Holländer war oder n Ostfriese. Tot sahn se alle gleich aus, und so bin ich losgezottelt.
    Unter den Flammenwerfern zuckten gestürzte Lafetten auf oder Fuhrwerke, manchmal brannte am Horizont ein Dorf. Den halben Tag hab ich mich im aufgesprengten Bauch von nem Gaul verkrochen, und wie ich hinter die Kampflinie kam, weiß ich nich mehr.
    Ich kam im Feldlazarett wieder zu mir. Und inner Hose hatt ich nur noch n Stummel.
    Zirbel drehte sich zu den Jungs. Die Hornbrille flammte im Abendlicht.
    Nu glotzt man nich so.
    Dann sind Sie …
    Und der Alte rasselte: Na klar, ne ewige Jungfrau.
    Die Jungs saßen da und sagten nichts.
    Krieg is Ausnahmezustand und jeder Augenblick gut für ne Katastrophe. Nix is mehr, wie es sein soll, und bald ham sich alle dran gewöhnt. Als wär das Leben schon immer ne Verkettung von Katastrophen gewesen, nur daß im Krieg alles n bißchen schneller geht. Auch das Sterben, und seine Hand mit der Zigarre fuchtelte. Aber wißt ihr, was das schlimmste am Krieg is: Daß andere über einen bestimmen können. Daß man sein muß, wer man nich is. Und Zirbel rasselte und spuckte lachend aus.
    Dann sagte er: Nu hockt man nich so da.
    Die Jungs traten aus der Hütte und setzten sich auf die Veranda. Der Spitz sah sie einmal schief an, dann sah er wieder weg.
    Zirbel blieb im Türrahmen. Eine Gestalt mit flirrenden Rändern im Abendlicht.
    Nach einer Weile sagte Willem: Für viele Menschen ist es aber einfacher, jemand zu sein, der sie nicht sind.
    Wer sagt das?
    Hat mein Vater gesagt.
    Tja. Und wenn mans dann meint zu wissen, wer man ist. Wie kann man sich da sicher sein?
    Mein Vater hat gesagt, mit dem Herzen.
    Mit dem Herzen also. Und Zirbel dampfte und sah Willem an.
    Dann sagte er: Was meint ihr, Jungs. Kann man sich dort absolut sicher sein?
    Willem sagte: Man muß die Welt ja nicht sehen wie die anderen. Man kann ja zusehen, daß man bei sich und seinem Herzen bleibt.
    Da is wohl was dran, Junge.
    Schlosser sagte: Aber absolute Sicherheit is so ne Sache. Man is ja von Anfang an in irgendwelche Umstände verstrickt, und eh man sich besinnen kann, hat man schon jede Menge mitgekriegt von der Welt. Ansichten, Gefühle, all so was.
    Auch da is was dran. Man beschreibt die Welt immer als jemand, der zuvor von der Welt beschrieben wurde, und am Ende isses gar nich so einfach, wirklich zu wissen, wer man is. Zirbel lachte und hustete. Doch je mehr man fragt, um so mehr Unsicherheiten ergeben sich natürlich. Er spuckte aus, nahm die Schiffermütze ab und strich sich über den Schädel. Dann setzte er die Mütze wieder auf. Wißt ihr, was ich gelernt hab in meinem Leben, Jungs: Im Herzen, da hörn die Fragen auf. Da kann man Demut und Freude für die Welt finden.
    Und wenn man im Schützengraben liegt?
    Ja, wenn man im Schützengraben liegt. Er dampfte und sah gegen die Abendröte.
    Dann sagte er: Das Leben war ein grandioser Furz, und ich hab die Hosen voll gehabt und mich an dieses Leben

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