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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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geklammert. Noch wie ich im Feldlazarett lag, hab ich mich geklammert.
    Die Boxerhündin kam angetrottet. Stupste ihren Schädel gegen Zirbel und setzte sich.
    Aber soll ich euch was sagen? Lebendig sein war damals wie ne Krankheit.
    Mein Vater hat immer gesagt, grandiose Schlachtfeste und kannibalische Heldentaten.
    Zirbel kratzte sich. Da is wohl was dran.
    Schlosser sagte: Und die Frauen?
    Bah! Zirbel machte eine Handbewegung. Auch wenn man nur noch n Stummel inner Hose hat, man lebt. Dann schob er sich die Mütze in den Nacken und grinste. Klar ham mich die Weiber irre gemacht. Da lebt was in einem weiter. Kann einen rasend machen. Aber das Lebendigsein war damals ne viel größere Krankheit, als bloß noch n halber Kerl zu sein. Versteht ihr.
    Die Jungs nickten, und Zirbel lachte. Das könnt ihr gar nich verstehn.
    Nein.
    Wißt ihr, noch lange nach dem Krieg erkannte man die Kameraden auf Anhieb. Egal, ob einer auf Helgoland gewesen war oder in Galizien. Man spürte sofort, wer mitgemischt hatte. Jeder konnte die Krankheit im andern spüren, das ganze Land war krank. Nichtwahr, von außen zerrten die Siegermächte, der Kaiser hetzte aus seinem Exil, in den Straßen gabs jede Menge Propaganda, Splittergruppen, und alles prallte aufeinander; die Militaristen entwickelten die Dolchstoßlegende, Rosa Luxemburg und ihre Leute gründeten die KPD , und während die Raffkes immer fetter wurden, hatten sie an der Basis kaum noch n Kanten. Die junge Republik ist von Anfang an krank gewesen. Wie ne Umwandlung der Schlachtfelder; die Sitten verlottert, Rauschdrogen gabs ganz legal, und im Kabarett ließen die Damen noch die letzten Hüllen fallen. Nichtwahr, die verdammte Kriegsenergie eines besiegten Volks war in Weimar losgebrochen, und sie schlugen sich hemmungslos die Köpfe ein. Stürzten sich in die neuen Schützengräben aus Rausch und Sex – die einbeinigen Kameraden, die Armlosen und die ohne Gesicht; jeder berauschte sich irgendwie, jeder wollte die lebendige Vergangenheit in sich abwürgen.
    Zirbel lachte und dampfte.
    Ich auch. Was glaubt ihr denn. Ich war jung und saftig, und ich hätt meine Augen – ach was: den ganzen Kopf hätt ich gegeben für n Schäferstündchen. Ich war hilflos, war rasend, und dann bin ich brutal geworden. Wie gesagt, in Weimar gabs für jeden was, und bald knüppelte ich auf Kinder ein. Auf Weiber, Greise, s war egal. Bald war ich mittendrin, Berlin oder München, ich knüppelte mit den Roten gegen die Sozis und mit den Sozis gegen die Roten. Ich putschte gegen die Demokraten, ich putschte für sie, Hauptsache, was gegen die Raserei.
    Na ja, ihr kennt die Geschichte, und so wars für einen wie mich keine Frage, daß ich mich bald bei den Rechten tummelte. Die hatten einfach den längsten Atem, und Inflation und Schwarzer Freitag spielten denen natürlich extra in die Hände. So knüppelte ich für den getürmten Kaiser, für die verbitterten Soldaten und dann für die Nazis. Ich trat ein in die Partei, ich marschierte und krakeelte, bald trümmerte ich gegen Judengeschäfte, und wies wieder soweit war, hab ich mir Uniform und Sturmgewehr verpassen lassen und Abmarsch.
    Zirbel dampfte.
    Ich bin da nich stolz drauf, Jungs.
    Er spuckte einen langen Strahl.
    Bis 43 hab ich mich ausgetobt. Ich war n Frontschwein, n Sadist, und mir war alles egal. Und dann wars wieder n Siebtersiebter. Diesmal blieb mir ne Kugel inner Lunge stecken, und das könnt ihr mir glauben, Jungs: Mit dieser Kugel, da fings Leben für mich an. Sie brachten mich heil durch die Kampflinien, und in Königsberg kriegten sie mich noch rechtzeitig aufn Damm. Ich bin dann bis nach Hause marschiert. Das große Haff, Danzig, die Pommersche Bucht, Stralsund, Lübeck. Und wärn den ganzen Weg bloß Kreuze gestanden, mit Kindern drangeschlagen, s wär ne Gnade gewesen. Ganz ehrlich, Jungs.
    Die beiden sahen den Alten an.
    Na ja. Er nahm die Mütze hoch und kratzte sich den Schädel.
    Wie ich dann zu Hause war, war ich n anderer Mensch. Irgendwie gereinigt und klar, und ich wußte plötzlich, wer ich war und daß niemand mehr über mich bestimmen sollte. Und so stand ich denn mit Freude und Demut in meiner zertrümmerten Heimat.
    Er schob die Mütze wieder auf und spähte gegen das Abendlicht. Als suchte er nach Spalten, die hinter das Sichtbare führten.
    Die Boxerhündin sah sich das an, dann

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