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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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wurde die nächste Vorstellung eingeläutet; die Jungs stellten sich an, vorne zerriß eine Frau die Billetts, sagte Reihe und Sitzplatznummer an, und im Saal wurden Hüte abgenommen, Knöpfe geöffnet. Und so füllten sich die Sessel. Ein Alter mit Bauchladen rief Eiskonfekt aus, eine dicke Frau mit Federboa schob sich noch durch die Reihen, dann wurden die Lichter runtergefahren, und Dunkelheit kündigte das Erlebnis an. Bald erhöhten die Geräusche aus dem Vorführraum die Spannung, das Schalten und Klicken, das Surren der Rollen, und dann stand der Strahl hoch oben in der Dunkelheit; ein wunderbares Bündel, das sich im Raum entfaltete und auf den Vorhang traf. Wer jetzt noch sprach, wurde angezischt.
    Die ersten Bilder erschienen, noch bevor die Leinwand freigezogen war, und bald schlingerte eine Waschmaschine aus den letzten Falten; Reklame für ein Fachgeschäft, Reklame für Zigaretten, und so begann das Volkserlebnis. Eine Sache, die schnell intim wurde und jeden in der Dunkelheit ergriff und ihn mit der Leinwand verschmolz. Nur der Lampenstrahl der Platzanweiserin und die Unruhe durch die Nachzügler trieb noch einen Schnitt durch diese Intimität.
    Und endlich stieg das Knistern aus den Lautsprechern, dieses wunderbare Hintergrundrauschen, das die Verbindung endgültig machte und jeden aus seiner eigenen Welt heraus in eine andere zog. Dann setzte die Musik ein, und auf der Leinwand stand: Die Mörder sind unter uns. In den Sesseln rutschten die Paare zusammen, und hoch über dem Volkserlebnis saß der Vorführmeister in seiner Kabine und wußte genau, wann die Symbole kamen, um den nahtlosen Übergang von der einen auf die nächste Rolle einzuleiten. Die Projektoren surrten, manchmal eierten die Rollen, und über den Köpfen schoß der gebündelte Strahl durch die Dunkelheit; entfaltete sich auf der Leinwand und prallte von dort als etwas Einzigartiges in jeden Kopf. Niemand wußte im Grunde, ob sein Nachbar das gleiche sah wie er selber, doch zuletzt schienen sie alle im Saal zu sehen, wie die junge Hildegard durch Dresden lief. Wie alle deutsche Pracht und Herrlichkeit in Trümmern lag; ausgebombt, und noch die längst verklungenen Fliegersirenen schienen allen im Saal aus den Bildern aufzusteigen. Und auch die Gerüche.
    So erschien die junge Hildegard in einer Trümmerstadt, schien durch Deutschlands Untergang zu waten und Fragen zu stellen nach Ursache und Schuld. Fragen, die tief eindringen mußten in Köpfe und Seelen der Zuschauer, und Fragen, die den Altnazis auf der Leinwand unbequem erscheinen mußten. Und tatsächlich verweigerten diese Altnazis alle Schuld und Sühne, und im Saal die Zuschauer konnten sehen, wie diese Alten darangingen, auch in der jungen Bundesrepublik wieder alle Fäden in ihre Hände zu kriegen. Nichtwahr, wie das Böse aus den Trümmern heraus wieder alle Macht an sich reißen wollte und wie die junge Hildegard dagegen antrat. Und so gebar sie Hoffnung, und der Strahl aus dem Vorführraum prallte von der Leinwand in die Köpfe. Bald schien Hildegard wie eine mädchenhafte Germania, bald schien sich hinter ihrer Jugend und ihrer Schönheit die ganze Katharsis der Deutschen zu entfalten, schien sich aus tiefer Finsternis wieder Pracht und Herrlichkeit aufzurichten, und von der Leinwand prallte urdeutsche Tugend, prallte Stolz zurück in den Saal, während sich die Altnazis an ihre 1000 jährige Macht klammerten. Und so durchschoß der Strahl die Dunkelheit und verwandelte sich in jedem Kopf zu etwas Einzigartigem.
    Nach der Vorführung saßen sie in einem der neuen Eiscafés. Die Kugeln wurden in einem Silberkelch serviert, die Tischplatte war aus grünem Resopal, und vor dem Geschäft parkten die Mopeds und Roller.
    So wie sie den Film gesehen und seine Botschaft gedeutet hatten, war Reichtum über Generationen gemästet und vererbt worden. Und stets war Macht an diesen Reichtum gekoppelt; früher waren es Stammesfürsten oder Könige gewesen, die verläßliche Strukturen installiert hatten, heute waren es die Nationalstaaten. Reichtum konnte eine Familie und ein ganzes Volk nach außen hin schützen, und darum wurde der Reichtum von innen her beschützt. Und zugleich natürlich die Macht, so daß die Reichen durch die Epochen hindurch stets mächtig und unversehrt blieben. Egal, welchen Dreck sie am Stecken hatten, egal, ob als

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