Kronhardt
Freitag mit der Brennhexe rausfahren. Dann nehmen wir die Plejaden ins Visier oder Andromeda. Und danach fahren wir in den Ochsenkrug und wärmen uns bei der dicken Helga auf.
17
In den ersten Sommertagen veranstalteten die Mutter und Kronhardt eine Feier für die Freunde des Hauses. Zum Empfang gab es Häppchen und Sekt, und mitten hinein in Plauderei und Lachen bat die Mutter um Stille. Der Klang ihres Glases stand noch in der Luft, und sie genoà die Blicke der anderen. Ihre Turmfrisur war perfekt, und wenn sie den Rücken durchdrückte, füllte ihr kräftiger Körper das ärmellose Kleid. Sie hieà die Gäste willkommen, sprach von der Ehre, diesem erlesenen Kreis als Gastgeberin vorzustehen, und schwenkte nahtlos über zur Konjunktur.
Obwohl es anfangs schwerfiel, daran zu glauben, sagte sie. Obwohl unsere Tage ausgefüllt waren mit der Vision von Speck oder Kohle, ist unsere Konjunktur doch ein Ereignis, das sich zwangsläufig ergeben muÃte. Die Zusammenhänge aus Ursache und Wirkung, aus Vaterland und Tugend sind uns bis heute verläÃliche GröÃen, auf die wir unsere Zukunft bauen können. Und das auch, obwohl sich dieser Aufschwung â da können wir ganz ehrlich sein â ohne unsere amerikanischen Freunde nicht ganz so schnell vollzogen hätte. Doch im gleichen Atemzug und mit der gleichen Ehrlichkeit können wir auch fragen: Was wäre Amerika ohne uns? Diese mächtige Kolonie ohne Germania und Europa? Denn hier steckt die Keimzelle aller GröÃe auf der Welt, von hier aus hat der Wohlstand auch Amerika überschwemmt, und so also, sagte die Mutter, so bleibt unsere Konjunktur auch jetzt noch hausgemacht â quasi die Umwandlung unserer Eichenwälder in moderne Triebkraft.
Der Blick der Mutter, ihre Dankbarkeit, muÃte den Gästen schmeicheln, und sie applaudierten.
Aus dem Nichts, rief die Mutter in den Beifall hinein. Nach dieser totalen Katastrophe, nach dieser Demütigung aus Schutt und Asche, und das soll uns erst mal jemand nachmachen. Das Land, die Konjunktur, die Stickerei. Aus dem Nichts, und dieses deutsche Wunder ist viel zu schön, viel zu strahlend, um noch in falscher Scham zurückzuschauen. Jawohl, es gibt das urdeutsche Rüstzeug. Es gibt Verbundenheit und Weitsicht und heute auch Aufschwung und Boom. Nichtwahr, und so ist es selbstverständlich, daà hinter der Gerichtetheit unserer Nation ein übergeordneter Plan steckt, eine Auslese, die nicht mehr und nicht weniger fördert als die Fähigkeit, GröÃe und Wohlstand aus dem Nichts zu erschaffen. Wohlan, sagte die Mutter, erhob ihr Glas gegen den Beifall und zog ihren Sohn zu sich. Als ob auch er ganz selbstverständlich eingebunden wäre in diesen übergeordneten Plan, als ob auch er all die wunderbaren Erbmerkmale offenbarte.
Neben ihr erschien der Junge noch immer wie geschrumpft.
Die Mutter lächelte, ihr Körper strahlte, dann lieà sie Willem stehen.
Und die Gäste sahen ihn mit gierigen Augen an.
Wenn meine Mutter von der deutschen Konjunktur spricht. Und wenn sie dieser Konjunktur alles Ãbersinnliche abspricht, weil der Wille dazu tief in diesem Land verwurzelt ist, dann spricht sie auch immer von Generationen. Von dem Rüstzeug, das die Jungen von den Alten mitbekommen, und von der Weisheit der Alten, daà die Jungen zudem ihr Rüstzeug vom Leben mitbekommen â von den Zeiten, die sich stets verändern und die stets neue Herausforderungen gebären. In diesem Sinne, sagte Willem, stehe ich für die neue Generation, und wo meine Mutter von Konjunktur spricht, spreche ich von den Möglichkeiten einer neuen Dynamik.
Er lächelte, und die Gäste sahen ihn an.
Zeit, sagte er dann. Wenn man Zeit als das Empfinden von Veränderungen definiert und die Veränderungen als einen Prozeà beschreibt, der immer schneller, tiefgreifender und umfassender wird, dann hat man eine Formel für diese neue Dynamik. Eine Dynamik, die es nicht mehr erlaubt, langsam und in geschlossenen Systemen zu denken, sondern die eine neue Sicht auf die Welt erfordert. Man muà sich zu jeder Zeit klarmachen, daà Systeme nur Teil einer Ãberordnung sind und nur so lange funktionieren, wie sie einem Ganzen zuträglich sind. Doch heutzutage muà man sich auch die Dynamik der Zeiten klarmachen, die ganz speziellen Herausforderungen der Gegenwart, denn schon bald wird es auch im Geschäftlichen nicht mehr
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