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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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ausreichen, nur noch in geschlossenen Systemen zu denken, schon bald werden auch die klassischen Betätigungsfelder von Kaufleuten, Reedern oder Bankdirektoren von den immer schnelleren, tiefgreifenderen und umfassenderen Erscheinungen eines neuen Kapitalismus erfaßt werden.
    Und nach einer Kunstpause hob er den Arm.
    Dieser neue Kapitalismus ist kein Instrument mehr und kein Teil von etwas; dieser Kapitalismus ist bereits zur Überordnung an sich geworden. Er bündelt alles in sich, vom Rohstoff übers Endprodukt bis zum Verbraucher, er schaltet alles darauf um, nach seinen Prinzipien zu funktionieren – das Leben, die Kultur, jeden einzelnen. Und wer diese neue Dimension erkennt, wer willig ist, tüchtig und gläubig und stets so handelt, daß es dem kapitalistischen Ganzen zuträglich ist, der wird mitgerissen werden und teilhaben an dem enormen Potential. An den ungeheuerlichen Margen, die der freie Markt in Zeiten von professioneller Dampfschiff- und Luftfahrt, in Zeiten von Television und -kommunikation bereitstellt. Angebot und Nachfrage können heutzutage in jedem Reich und jedem Winkel installiert werden, können gesteuert und berechenbar gemacht werden, ganz ohne Stuka und Heil. Sieg und Unterwerfung sind neu definiert, und wer die Überordnung des Kapitalismus anerkennt, wer sich ihm gewissermaßen unterwirft, der wird in diesen Zeiten neuer Dynamik zum Sieger werden. Wird das kleine Büro im Herzen unserer Stadt zum Steuerhaus machen für weltweiten Erfolg.
    Der Beifall war verhalten. Als hätten die Erwartungen der Gäste ganz woanders gelegen, und wie eine Synkope stieg bald das Tuscheln auf. Einige meinten, daß Willem ein Linker sei. Andere belächelten seine Worte und hielten ihm seine Jugend zugute. Wieder andere hielten ihn für einen Zyniker und erinnerten sich, daß auch Willems Vater ein Zyniker gewesen sein sollte. Doch schließlich trat die Mutter vor und sagte, daß ihr Willem natürlich von Führungstechniken gesprochen habe. Ein runder Tisch im Sinne derjenigen, die das Erbe in sich trügen, und sie bekam dröhnenden Applaus.
    Auf dem Rundgang übernahm Willem wieder die Führung.
    Er zeigte, wie Ausrüstung und Ersatzteile sortiert lagen, erklärte Lochband- und Hollerithprinzip; er holte verschiedene Stoffe und Garne hervor, erklärte ihre speziellen Eigenschaften und anhand von Musteremblemen die unterschiedlichen Wechselwirkungen.
    Er sprach vom ersten Zeichen, das sich als Vorstellung in die Köpfe gebrannt und dort zu unlöschbarer Bedeutung festgewachsen hatte. Er sprach von Wiedererkennung und den unglaublichen Möglichkeiten, aus simplen Zeichen Identifikation zu erschaffen – Identifikation, sagte er, abgeleitet aus dem lateinischen idem, ebendasselbe. Und eben das, sagte er, wird das grundlegende Merkmal unseres neuen Kapitalismus sein: eine Konspiration zur steuerbaren Gleichschaltung. Die totale Identifikation des Verbrauchers mit beliebig forciertem Angebot. Tiefgreifend, umfassend und der neuen Schnelligkeit angepaßt.
    Im Maschinenpark erzählte er dann eine kurze Geschichte der Stickerei. Von den Petroglyphen und ersten Blut- oder Aschezeichen der Sippen, sagte er, bis zum Unterscheidungsmerkmal ganzer Körperschaften; er sprach von Petschaften und königlichen Wappen, er kam von den Geheimzeichen der Romantiker zu den vielfältigen Chiffren der Gegenwart – die goldgestickten Christuskreuze beispielsweise oder die Cola-Logotype, sagte er und fand es unglaublich, wie tiefverwurzelt und weithin spürbar die Macht solcher im Grunde fragilen, im Grunde banalen Zeichen war. Und nebenbei erwähnte er, daß aus dem Rattern hier unlängst noch Hakenkreuze und SS hervorgegangen waren.
    Dann fuhr er in seiner Chronologie fort und glitt von der Handarbeit ins Maschinenzeitalter; anhand des Webstuhls umriß er den Hintergrund der industriellen Revolution, und anhand einiger Beispiele zeigte er Nutzen und Folgen der ersten dampfbetriebenen Maschinen auf. Er beschrieb die Entwicklung von den Kraft- zu den Strommaschinen, und als er schließlich bei der Sechskopf stand, sagte er, sie wäre effizienter und systematischer als all ihre Vorgängerinnen zusammen. Emotionslos und stumpf, sagte er, und so eine Maschine ersetze die Hände gleich dutzendweise – eine Vervielfältigung von Präzision und Produktivität, ein Mechanismus, der durch seine Arbeitsweise endlos

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