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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Schlosser sollte die Artefakte entstauben, anhand eines Bestandsbuches identifizieren und, wenn nötig, Beschriftung und Nummern erneuern. Artefakte, die noch nicht im Bestand auftauchten, mußte er mit einem roten Aufkleber kenntlich machen. Und höchstes Augenmerk, hatte der Direktor gesagt, war auf Schädlinge aller Art zu legen, wobei in der Asservatenkammer grundsätzlich gefährlich war, was irgendwie lebte. Schlosser sollte alles melden und, wenn möglich, zur Bestimmung einfangen.
    Die Arbeit machte Schlosser Spaß.
    Er entdeckte Schrumpfköpfe, ein aus Horn geschnitztes Mischwesen und Tontafeln mit einer seltsam linksläufigen Schrift. Er stieß auf einen in Alkohol schwimmenden Quastenflosser und auf ägyptische Kanopen, in denen anscheinend noch Reste waren. In einer kleineren Kiste, die verstaubt und nirgendwo verzeichnet war, entdeckte er Schmuckstücke, wie sie vielleicht für Pferdegeschirr oder Kriegstrachten verwendet worden waren. Aus Gold getriebene Plättchen, die äußerst fein gearbeitet waren und meist Raubtiere und Fabelwesen darstellten. Schlosser fand auf der Kiste kyrillische Buchstaben, er reimte sich die Eremitage und deutsche Beutekunst zusammen, und gemeinsam mit Willem veranschlagten sie für die Stücke ein Alter von mindestens zweieinhalbtausend Jahren und schrieben sie den Skythen zu. Doch der Direktor wollte von Skythen und Beutekunst nichts wissen. Papperlapapp, sagte er, nahm die Kiste, klopfte Schlosser auf die Schulter und erhöhte sein Stundengeld um fünfzig Pfennig.
    Kurz darauf identifizierte Schlosser ein mit einem Fragezeichen beklebtes Ding als Barbarenmünze, und der Museumsdirektor nannte sie tatsächlich eine lupenreine Fälschung und war begeistert. Na bitte! rief er, klopfte Schlosser wieder auf die Schulter und legte noch mal fünfzig Pfennig drauf. Und als die Zeitungen von der Barbarenmünze berichteten, wurde auch Schlosser im Text erwähnt. Vom Gold der Skythen stand jedoch nichts, und Willem meinte, daß der Direktor nicht so einfach davonkommen könne.
    Schlosser gab ihm recht, und als die Jungs beim Direktor saßen und nachfragten, ob denn das Skythengold zurück an die Eremitage gehen würde, faltete der Mann die Hände über dem Bauch. Ihr seid auf Zack, sagte er, und euer Sinn für Gerechtigkeit in Ehren. Doch da wäre nichts zurückzugeben. Schlosser hätte nichts weiter als Repliken entdeckt, die als potentielle Beutekunst für die Besatzer hergestellt worden seien.
    Repliken, sagten die Jungs.
    Von nichts. Einfach ein paar Brocken für die Besatzer.
    Vorgetäuschte Beutekunst als Brocken für die Besatzer?
    Damals wurde mit allen Tricks gearbeitet.
    Und heute?
    Heute brauchen wir von den Schätzen des Museums nicht mehr abzulenken.
    Und Sie meinen, das ist kein Skythengold?
    Papperlapapp, und der Direktor lachte.
    Wertloses Zeugs, meinen Sie?
    Wenn ihr so wollt, Jungs.
    Dürfen wir es haben?
    Und er lachte erneut. Wir sammeln hier wohl aus Leidenschaft. Aber unser Ziel ist Aufklärung, und das schließt auch die Geschichte unseres Hauses mit ein. Die Repliken haben natürlich einen ideellen Wert. Aber wie gesagt, Jungs, ihr seid auf Zack.
    Draußen grinsten sie sich an. Für Schlosser war der Posten ein Geschenk.
    Schlosser erzählte dem Schrotthändler davon, und der Mann hob nur die Schultern. Bei so einem Stundenlohn konnte er nicht mithalten. Aber er hatte nichts dagegen, wenn Schlosser vorbeikam, wie es ihm paßte. Zu tun gab es immer etwas.
    Willem mußte mittlerweile wieder mit den Leysieffer-Schwestern kaffeesieren. Er konnte nicht sagen, ob sie einfach zu dumm waren oder zu verzweifelt. Manchmal meinte er auch, daß sie beides zusammen wären und sich zudem tatsächlich in ihn verliebt hätten. Er überwand den Widerwillen gegen die wöchentliche Tafel, indem er sich der Situation stellte und bemüht war, das Beste daraus zu machen. Schon im April hatte er die Lage im Griff; er ließ sich auf die Schwestern ein, griff ihre Torheiten auf und verwandelte sie. Dabei lernte er, seine Art zu verfeinern, und bald gelang es ihm mühelos, ihre Worte oder Gebärden als Anspielungen auszulegen, die sie erröten ließen. Wenn sie sich echauffierten, konnte er eine Vernunft entwickeln, die so streng war, daß die Mädchen sittenlos erscheinen mußten oder kommunistisch. Und alles, was sie dagegen aufbrachten, schien seine

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