Krumme Gurken
Sehr fortschrittlich – viel nackte Haut. Als ich damals, noch in Dresden, nach ›Mädcheninternat‹ gegoogelt hatte, war ja anderes zu befürchten gewesen: Dass es hier statt Glotze und Flaschendrehen in Zimmern, Rosenkranzfangroups geben würde. In diesem Mädcheninternat waren aber die Mädels wie in einer Schule für angehende Topmodels angezogen – heißer als die Mädels bei uns in Dresden. Als ob sie uns Jungs in den Wahnsinn treiben wollten. So wie’s halt sein sollte. Denn wir sind des Wahnsinns! Zumindest fühlte sich meine Hardware jetzt mit sechzehn verdammt unberechenbar an. Schon der Anflug eines Gedankens ans Fleischliche und gleich wurde Blut gestaut.
Ich versuch dann immer schnell an etwas Abtörnendes zu denken. Also wie war das? Letztes Jahr bei der Zeckenimpfung: Die hässliche Spritze … und PIEK! … aber die Krankenschwester …
»Tragen alle in Dresden so komische Klamotten wie du?«, fragte mich Anna. Mein Vater guckte wie ein Maulwurf
aus der Sardinenbüchse. He? Komische Klamotten? Zugegeben war auch ich etwas hippiemäßig angezogen. Zerrissene Jeans und ein gelbes T-Shirt mit einer großen Sonnenblume vorne drauf … aber komisch? Normal, oder? Egal! Anna hat mich angesprochen. Die nackte Prinzessin aus dem Garten Eden. Die Welt war voller Wunder! Auch meine Gurke plötzlich sanft und gehorsam. Nur romantische Gefühle trieben mich hoch! Was sollte ich jetzt aber sagen, he? Sollte ich mich vor ihre Füße werfen? Für sie den Gollum spielen? Tritt auf mich, mein Schatz. Ich mach dir den roten Teppich! Den Ring würde ich ihr sofort geben. Trotz oder wegen des Gedankengewitters im Hirn brachte ich keine Silbe mehr raus. Glotzte nur die schöne Elfenkönigin an. Boah! Gleich würde ich auf einem weißen Ross in ein Märchenreich galoppieren.
Zum Glück hatte ich meinen Vati dabei, der’s immer schafft, dich in die Realität zurückzuholen: »Geh nich zu dein’ Ferscht, wenn de nich gerufen werscht!«, sagte er, als ob er meine königinnenschwangeren Anna-Gedanken lesen konnte. Eine Fürstin war sie ja auch! Er packte mich am Arm und schleppte mich davon.
»Das war Sächsisch.« Ja, das war die Stimme von Emma. Ich drehte mich um. Türkisfarbene Converse. Gut geraten! »Spielen wir das Spiel also?« Was hatten die ständig mit ihrem Spiel?
»Von mir aus«, hörte ich Anna antworten.
»Damit wir a bissl Spaß haben«, fügte Emma hinzu. A bissl? Tja! A bissl bairisch, Baby! »Fängst du an, Mia?«
»Voll!«, sagte Mia. Die vierte Stimme. Hatte wohl schon die Arbeit für ihre Lehrerin erledigt. Ich drehte mich um. Mia guckte zu Boden: Aneinandergereihte Kästchen mit Kreide aufgemalt und mit Nummern versehen. Das Mädchen
mit den vielen Rundungen kam zum Kästchen Nummer eins und begann zu hüpfen. Ach so: Hüpfekästchen! Das meinten sie mit dem Spiel. Die Mädels sind unberechenbar – ziehen sich nahezu arschfrei an und zocken dann Kindergartenspiele. Krass, oder?
»’sch wussde gorni, dass de son Droffgängr bisd«, sagte mein Vater in der Wohnung. Ich und Draufgänger?
Vati ging arbeiten, ich stellte mich ans Fenster und guckte den Mädels ein bisschen zu. Hinter dem Vorhang selbstverständlich. Eine kleine gesittete Spannerstunde, draußen zog sich ja keine aus. Nein, bestimmt nicht: Eine Nonne war im Anmarsch. Echt! Gab’s hier doch Klosterschwestern? Eine etwas ältere Frau in Nonnenklamotten blieb bei den Mädchen stehen. »Emma!«, sagte sie.
»Ja, Schwester Marie.«
Schwester Marie sah aus wie die Güte in Person, lächelte sanft, nur ein winziges Wölkchen malte einen grauen Schatten in ihr Gesicht. Sie betrachtete Emmas Hamster-Jeansshorts. »Was ist denn der Vorteil, wenn bei der Hose die Schamhaare rausschauen?«, fragte sie Emma, die gerade beim Kästchenspielen sehr anmutig ihre Beine spreizte.
»Das kann nicht sein«, sagte Emma. »Ich bin rasiert.« Mann! Emma! Du freches Luder! Der saftige Spruch schob Emma auf die höchste Stufe meiner Siegerehrungstreppe.
»Wie bitte?« Eine fette Wolke prügelte die Sonne aus dem Gesicht der Schwester Marie. »Du gehst dich sofort umziehen!«
»Ja, ja«, sagte Emma und ging.
»Hopp, hopp!«, rief die Nonne zu den anderen Mädchen und scheuchte sie vor sich her wie Hühner in den Stall. »Gleich haben wir Religion.«
Alles klar! Das war also die Relilehrerin hier.
Echt nettes Kino hatte ich vor dem Fenster. Ganz anders als in Dresden. Die Welt fing an, sich verkehrt zu drehen. Ich drehte mich mit ihr,
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