Krumme Gurken
plötzlich hell strahlend und klar in meinem Hirn: Bitte, Gott! Lass mich nur noch einmal schummeln. Danach tue ich’s nie wieder! Ich schwöre! Mann! Ich wollte in keinem Fall Anna verlieren und Katja auch nicht… eeh, Blödsinn! Ich wollte keins der Mädchen verlieren!
Heute loggte ich mich unter meinem richtigen Namen ein. Auf meinen offiziellen Facebook-Seiten hab ich nur etwa achtzig Freunde: Jungs aus unserer Schule und ein paar Freunde von Rowdy. Meist Leute, die gern zocken. Hier tauschte ich mich nur über Spiele aus.
Die Suche nach dem Namen war erfolgreich und so wollte ich meinen Gedanken auch gleich in die Tat umsetzen. Klar rechnete ich mit keiner sofortigen Antwort, als ich meine Freundschafsanfrage sendete. Und dennoch: Die Hoffnung ist wie ’ne Sau, die sich überall gern hinlegt, selbst in den schlammigsten Schlamm. So! KLICK – die Anfrage flitzte zum Empfänger. Wohl würde ich eine Antwort erst in ein paar Tagen bekommen – wenn überhaupt. Die Erwachsenen hocken nicht so exzessiv am Rechner wie wir Jugendlichen. Schriftsteller offensichtlich aber schon: Die Antwort schoss sofort zurück: Freundschaftsanfrage angenommen. KLICK – und schon war ich im Chat. Blöd nur, dass viele Leute bei Facebook gar nicht reagieren, wenn du sie anchattest. Obwohl sie on sind. Doch auch hier hatte ich heute Wahnsinnsglück. Nach so viel Pech musste ja wieder das Gleichgewicht hergestellt werden: Guten Morgen, Sascha! , schrieb ich. Kann ich Sie etwas fragen?
Du kannst mich ruhig duzen , kam von Sascha Guddimar prompt zurück. Wenn wir schon Freunde sind.
Wir chatteten etwa eine Stunde lang. Ich entschuldigte mich, dass ich seine Geschichten geklaut hatte und erzählte
ihm von meiner Misere mit den Mädchen. Du möchtest dir also auch ein paar Geschichten ausdenken? , fragte Sascha zum Schluss.
Bei mir kommt da nichts , tippte ich. Hab kein Talent.
Das sehe ich anders , schrieb er zurück. Nachdem, was du mir erzählt hast.
Aber da kommt echt nichts. Glaub mir!
Wir treffen eine Abmachung , schrieb Sascha. Ich helfe dir. Aber nur wenn du mir für meine Hamstergeschichte, die du dir von mir ausgeliehen hast, eine neue lieferst. Selbst ausgedacht. Bis dann!
He? Und off war er. Was jetzt? Ich versuchte doch seit gestern, mir eine Geschichte auszudenken. Mittlerweile war mir klar, dass daraus nix werden würde. Ey! Verdammt! In Dresden hatte ich auch keine Mädels gehabt und es ging mir super. In ein paar Tagen würde ich meinen LAN-Anschluss bekommen und die Sache hatte sich. Konnte mir den Stress mit den Mädels auf Tuchfühlung sparen und wieder meine Freundinnen im Netz belabern.
In Dresden hatte mir doch nichts gefehlt. Wenn mir dieser Schriftsteller-Typ schon solche unlösbaren Aufgaben stellte, dann ließ ich es eben. Ich zahlte ein paar Euro und lief aus dem Internetcafé. Frische Luft und etwas Grün würden mir guttun. Frische Luft und etwas Grün? War es mit mir so weit gekommen, dass ich solchen Blödsinn brauchte? Egal! Am besten, ich latschte zu Fuß zurück. War nicht soo weit. Eilig hatte ich es nicht. Und ohne die Geschichte für Sascha erwartete mich im Internat sowieso nichts besonderes.
Am Stadtrand spielten ein paar Kinder auf einem Spielplatz im Sandkasten. Zwei Mütter quatschten auf den Bänken. Plötzlich lachten sie laut. Sicher erzählten sie sich lustige Geschichten. Vielleicht könnte ich mich da ranschleichen…
Ach! Blödsinn! Ein etwa dreijähriges Kind lief mit einem Luftballon am Spielplatzzaun vorbei, hüpfte und rief: »Mama! Ich kann fliegen!« Und da fiel mir meine Geschichte ein. Echt! Sogar eine mit ’nem Hamster drin. Und nicht nur das! Eine Geschichte, in der ich mich an dem Scheißhamster krass rächen konnte. Wow! Super!
Ich rannte ins Internetcafé zurück. Jesses! Vielleicht war Sascha wieder online. Doch nicht. Schade. Egal! Musste die Story sowieso zuerst eintippen. Sie lag plötzlich in meinem Kopf wie die Wurst auf einer Platte. Man musste nur zulangen. In einer halben Stunde tippte ich meine erste Geschichte ein. Soou! Sascha eine Nachricht schicken . KLICK! Anhänge . KLICK. KLICK. KLICK. Und schon jagte die Story digital zerhackt durch die Leitung. Hmm … was würde Sascha dazu sagen? Vielleicht war die Story Scheiße? Ich war kein Schriftsteller, sondern ein sechzehnjähriger schusseliger Typ mit ’nem chronischen Ständer, der nur mit ungesundem Selbstbewusstsein besänftigt werden konnte. Und kribblig dazu. Zur Abwechslung aber nicht
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