Krumme Gurken
liebeskribblig. Schriftstellerkribblig! Komisch: Du schreibst nur eine Geschichte und dann willst du um jeden Preis, dass andere sie loben. Sollte mir Sascha erst nächste Woche antworten, würde ich verrückt werden. Mann! Gerade wollte ich meinen Hut nehmen, warf nur einen schnellen Blick auf das Freunde-im-Chat -Fenster links unten und wollte schreien vor Glück. Sascha war on.
Ich habe gerade deine Story erhalten. Hätte nicht gedacht, dass es soo schnell geht. Ich lese sie sofort. Bis gleich.
Ich wartete. Auf dem Stuhl unter meinem Arsch legten irgendwelche Gnome Tausende kleine Feuerchen. Nicht auszuhalten!
Krass , kam in zehn Minuten per Chat von Sascha. Uff! Morgen sagst du mir, wie die Mädchen drauf reagiert haben!
He? Die Geschichte gehört doch jetzt dir , tippte ich. So war’s verabredet.
Jawohl , schrieb Sascha. Du sagst den Mädchen einfach, dass Dir jetzt der Stoff ausgegangen ist und du ihnen eine Geschichte von mir erzählst. Jetzt haben wir beide höchst offiziell Geschichten getauscht, meine alte Hamstergeschichte gehört ab jetzt dir und deine neue mir.
Gut , schrieb ich. Aber erst am Montag. Am Nachmittag fahren die nach Hause… Ach, du Scheiße! Erst jetzt fiel mir ein, dass ich die ganze Sache bis Montag nicht bereinigen konnte. Die Mädels fuhren freitags heim? Wann genau? Jetzt war es halb zwölf. Vielleicht würde ich sie noch erwischen.
Bist du am Nachmittag bei Facebook? , tippte ich noch schnell hin.
Klar , schrieb Sascha. Ich bin an meinem Schreibtisch festgetackert. Meinen neuen Roman hätte ich schon vor einem Jahr abgeben müssen. Jetzt macht mir meine Lektorin Stress. Ich möchte sie nicht verlieren.
Das verstehe ich , tippte ich. Also bis dann.
Als ich den Bus in letzter Sekunde erwischte, wusste ich, dass ich wieder mal aus dem Boden des harten Lebens wie ein Glückspilz hochgeschossen war. Im Klosterhof tauchte ich auf, als die Glocke läutete. Aus dem Schultor strömte die Mädchenelbe heraus, reißende Flut, die alles zu überschwemmen drohte – die Mädchenmassen kämpften sich Richtung Wohnheim. Sachen packen und Abflug. Die Heimfahrt wartete. Zum Glück war ich zur Hofmauer gesprungen. Wo waren meine Freundinnen? Im Strom? Nee! Als alte Individualistinnen schlenderten sie dem reißenden Mädchenfluss hinterher.
»Hallo!«, rief ich. Sie blieben stehen.
»Du stopfst jetzt das Loch mit Zeitungspapier zu!«, sagte Emma. »Und lass uns gefälligst in Ruhe …«
»Aber …«
»Die Fälschung unterscheidet sich vom Original dadurch, dass sie echter aussieht«, sagte Katja.
»Mein Papa sagt, wer einmal lügt, lügt immer.«
Anna! Wollte ich schreien. Für nichts anderes sind so viele Menschen gestorben wie für die Wahrheit. Wahrheit ist unmenschlich! Habe ich dank Wahrheit jetzt die Traumfrau meines Lebens verloren? Anna rümpfte ihre kleine Nase. Wohl zum letzten Mal wegen mir. Mann! Schon jetzt ging mir ihr Nasenrümpfen ab.
Sie verschwanden Richtung Wohnheim. Ich guckte ihren Rücken nach. Nur Mia blieb stehen. Ach, was soll’s! Plötzlich war mir alles egal. Die konnten mich mal! Denen wollte ich gar nichts beweisen. Blöde Tussen! Ich drehte mich um.
»Warte, Bennie!«, sagte Mia.
»Na, was?«, fragte ich unfreundlich. »Willst du mir einen Vortrag darüber halten, dass ich euch belogen habe?«
»Ich hab gelacht. Als du uns die Geschichten erzählt hast«, sagte sie. »Alles andere ist mir egal!«
»Aha«, murmelte ich. »Deinen Freundinnen aber nicht.«
»Das ist doch deren Problem«, sagte sie. »Nicht meins!«
»Würdest du in einem Video mitspielen?«, fragte ich.
»Porno?«
»Was? Nee!« Mann! Welchen schrägen Humor die hatte! »Nur singen!«, sagte ich. »Mein Freund Rowdy und ich haben eine virtuelle Band.«
»Eine virtuelle Band?«
Ich erzählte ihr von den Krummen Gurken .
»Und deine Schwester will da echt nicht mehr singen?«, fragte Mia.
»Nee. Rowdy hat das Video schon im Netz gelöscht.«
»Na, gut!«, sagte sie. »Wird sicher lustig!«
»Super!« Ich sollte mich freuen, aber… na ja… in Gedanken war ich immer noch bei Anna, Katja… und jetzt verdammt noch mal auch bei Emma. Mann, oh Mann! Warum hab ich bloß alles so versaut?
»Wir müssten aber irgendwann nach Dresden fahren«, sagte ich. »Wegen der Aufnahmen!«
»Heute?«, fragte Mia.
»Waas?« Mann! So viel Spontaneität hätte ich ihr gar nicht zugetraut. »Musst du nicht heim?«
»Nee!«
»Ach so! Lass mich raten. Dein Vater hat eine Neue geheiratet und
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