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Krumme Touren in Texas

Krumme Touren in Texas

Titel: Krumme Touren in Texas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Powell
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öffnete die Tür des Bestattungsinstituts.
    Eine goldene Lilientapete zierte die Wände, und ein
    großer, funkelnder Kristallüster tauchte den Vorraum
    in gedämpftes Licht. Die burgunderroten,
    samtbezogenen Polstersessel waren farblich auf den
    Teppich abgestimmt.
    Auf einer Schmuckplatte an der Tür zu meiner
    Rechten stand »Osthalle«. Ich wußte nicht, warum –
    sie lag an der Nordseite des Hauses. Drinnen standen
    sechs Kirchenbänke, ausgerichtet auf einen weiteren
    Raum linkerhand. Schwere, dunkelblaue Vorhänge,
    von quastengeschmückten Bändern gerafft, hingen in
    dem gewölbten Durchgang, der die beiden Räume
    miteinander verband.
    Ein silberfarbener Sarg, der Waymon Stovall
    enthielt, stand offen auf einem Podest im zweiten
    Zimmer, das schwach erleuchtet war von flackernden
    Kerzen in schwarzen, schmiedeeisernen Kandelabern.
    Drei alte Damen in schwarzen Kleidern und Hüten
    hatten soeben den Leichnam besichtigt, setzten sich
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    auf eine Kirchenbank direkt vor mir und unterhielten
    sich flüsternd über den lieben Verstorbenen.
    »Ist der Anzug neu, den er anhat?«
    »Ach, sei nicht albern. Das ist der Anzug, den er
    jeden Sonntag trägt.«
    »Ich meine, der ist neu.«
    »Earthman hat ihn wirklich gut zurechtgemacht,
    findet ihr nicht auch?«
    »O ja, sie machen dich immer gut zurecht hier.«
    »Ich habe meinen Kindern gesagt, wenn ich sterbe,
    will ich, daß sie mich zu Earthman in der Main Street
    bringen.«
    »Er sieht so natürlich aus.«
    Die anderen beiden nickten, dann machten sie
    nachdenkliche Gesichter.
    »Aber irgend etwas stimmt nicht ganz. Vielleicht
    ist es sein Haar. Ich glaube, er trug den Scheitel auf
    der anderen Seite.«
    Ich bekam langsam nervöse Zuckungen vom
    Zuhören.
    »Vielleicht sind es seine Augen.«
    »Das stimmt! Irgendwas ist mit seinen Augen –
    besonders mit dem rechten.«
    Ich konnte mich nicht länger beherrschen und
    lehnte mich zu ihnen vor. »Aber natürlich ist etwas
    anders an ihm! Er ist tot, Herrgott noch mal.«
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    Eingeschnappt standen sie auf, sagten: »Das ist
    eine Unverschämtheit!« und rauschten hinaus.
    Ich holte mir einen runden Papierfächer mit einem
    Bild vom Jesuskind, der mit Draht an einem flachen
    Holzstiel befestigt war, und fächelte los. Es war mein
    Schicksal – ständig mußte ich rumlaufen und Leuten,
    die lieber die Augen verschlossen, das Offensichtliche
    unter die Nase reiben. Sie schrien einfach danach.
    Eine ältere Frau, an beiden Armen von einem
    Mann in schwarzem Anzug gestützt, kam herein. Die
    Witwe Stovall.
    Die
    drei
    schritten
    langsam
    in
    den
    Aufbahrungsraum und starrten die Leiche an. Die
    Frau zog ein weißes Taschentüchlein hervor und
    betupfte sich Augen und Nase. Andere Leute
    wanderten ein und aus, warfen einen Blick auf den
    Verstorbenen und tätschelten der Witwe die Schulter.
    Sie schritt zur ersten Bank und setzte sich, um Hof zu
    halten. Ich wartete auf eine Gelegenheit, mit ihr allein
    zu sprechen.
    Plötzlich wurde es still im Raum, gespannte
    Erwartung lag in der Luft. Eine Frauenstimme,
    kräftig und gebieterisch, drang von draußen zu uns
    herein. Ich drehte mich um, damit ich besser sehen
    konnte. Alle anderen taten das gleiche.
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    Eine hochgewachsene, imposante Frau trat ein,
    gefolgt von einer Gruppe Männer. Ihr Haar war
    rötlichbraun, ihre Augen hatten die Farbe von
    Smaragden. Sie sah gut aus, auf die Art, wie ein
    Leopard gut aussieht, und beim Gehen bewegte sich
    ihr Körper in der Kleidung wie ein Tier in seinem
    Fell. Schwester Jasmine.
    Sie blieb wegen des dramatischen Effekts im
    Durchgang stehen, ließ den Blick langsam durch den
    Raum schweifen, nickte ihrem Publikum mit einem
    offenen, wohlwollenden Lächeln zu und segnete
    schweigend ihre Schäfchen. Bis sie mich sah. Ich
    beobachtete sie neugierig, wie eine Forscherin, die
    eine Amöbe studiert. Ihr Lächeln veränderte sich nur
    leicht, aber genug, um vom Geistlichen zum
    Fleischlichen zu wechseln, ihre Lider senkten sich
    kurz, dann hoben sie sich wieder. Aus ihrer Art zu
    gehen konnte ich schließen, daß sie im Bett schreien
    und kratzen würde. Ihr Blick forderte mich heraus, es
    auszuprobieren. Ich war schockiert über das
    unverblümte Angebot. In diesen wenigen Sekunden
    blickte ich in ihre Seele und sah ein Inferno, neben
    dem das von Dante wie Würstchenbraten am Feuer
    von Pfadfinderinnen ausgesehen hätte. Ich schüttelte
    den Kopf und spürte, wie mein rechter Mundwinkel
    zuckte.
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    Ihr Blick wanderte an mir

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