Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
Vom Netzwerk:
Theo. Der Turm ist der Theo. Alles klar?«
    »Phantastisch … unglaublich … das dürfen Sie aber niemandem im Ernst erzählen, sonst landen Sie im Irrenhaus in Kaufbeuren.«
    Ich ignorierte den laienhaften Kommentar.
    »Die Toni hat mir dann auch gesagt, dass sie mit ihrem Toni seit geraumer Zeit nichts mehr hatte. Im Bett. Er schlief ja auch im Gartenhaus. Und trotzdem war die Toni schwanger. Von wem?«
    Er schaute mich gespannt an.
    »Der Adolf erzählte dem Toni kurz vor seinem Ende, dass seine Johanna und die Toni vom Toni beide vom Theo schwanger sind. Das war für den Toni etwas zu viel. Dazu kam die Beerdigung von seinem Liebhaber Adolf. In der Kirche, bei der Totenmesse, drehte er durch. Danach hat er sich beim Leichenschmaus so zugedröhnt, dass er abends dann vollends durchgeknallt ist. Er ist sturzbesoffen mit einem Metzgermesser in der Hand in sein Gartenhaus. Die Polizei meint, in seinem Delirium hat er sich den Schwanz abgeschnitten und ist verblutet, und weil er im Bett geraucht hat, ist er auch noch verbrannt. Soweit man das überhaupt rekonstruieren konnte.«
    Die näheren Details brauchte Bruder Rössle nicht zu wissen.
    Er sagte:
    »Dann haben die beiden, der Adolf und der Toni, den Theo umgebracht, weil sie sich dafür rächen wollten, dass der Theo ihre Frauen geschwängert hat.«
    »Genau so ist es. Das ist die Wahrheit.«
    Ich sagte nicht: die ganze Wahrheit. Aber es war die Wahrheit. Eine Kurzfassung davon.
    Rössle fragte:
    »Und warum haben sie ihn nicht einfach heimlich umgebracht und verscharrt? Warum die Demonstration mit dem Kreuz in der Kirche?«
    »Genau das: Eine Demonstration sollte es werden. Aber das ging ihnen schief. Die Organistin, die Olivia Obholzer, kam an jenem Sonntagmorgen einfach zu früh in die Kirche. Weiß Gott warum. Geplant war von den beiden ganz großes Kino: Der Pfarrer hat sich erhängt, alle sollen es sehen, weil er so ein Schwein war. Sie wollten ihn nicht nur beseitigen, sie wollten sich an ihm rächen. Narzisstische Wut nennt man so was. Die beiden waren so gedemütigt, so sehr als Männer verarscht, dass sie ihrem Opfer eine noch größere Demütigung zufügen mussten. Und sie hatten beide auch einen Hass auf die Kirche, und da wäre es ihnen ganz gelegen gekommen, wenn die Kirche auch noch ein Stück Demütigung abgekriegt hätte. Aber es kam ja nicht so weit. Wie gesagt, die Obholzer erschien zu früh und alarmierte den Notarzt. Und dann kam die Feuerwehr, zuerst der Hauptmann, und dann die Notärztin, Sie kennen sie ja, und dann erst die Polizei, die war im Stau stecken geblieben … und so wurde nichts aus der Show. Eigentlich erstaunlich, wie die Geschichte dann auf Sparflamme ablief. Alle glaubten, der Theo wäre nun schlicht und einfach tot umgefallen, und alle glaubten es, weil es so in der Zeitung stand. Schon komisch.«
    Willibald Rössle schwieg. Kein Kommentar. Keine Frage.
    Wir waren in Oberberg angekommen.
    Wir kehrten in der »Deutschen Eiche« ein. Ein schöner schattiger Biergarten. Unter einem Kastanienbaum. Neben einem himmelhohen Maibaum. Am Dorfbrunnen stand »Kein Trinkwasser« und ein Plakat: »Heute 20.00   Uhr Gästeschießen im Bürgerhaus«.
    »Gefährliche Gegend hier«, sagte ich, »Pfarrer werden erhängt, Gäste erschossen.«
    Eine frische, goldfarbene Halbe Bier stand vor jedem von uns beiden, der Tau lief am Glas herab.
    »Broscht!«, sagte ich.
    Er sagte: »Broschd! Mein lieber Scholli!«
    »Was darf’s denn sein?«, fragte die Bedienung. Sie trug ein Dirndl. Junges Ding.
    »Wir müssen noch schauen.«
    Wir schauten in die Speisekarten.
    Ich sagte.
    »Seniorenteller … so eine Unverschämtheit!«
    Rössle fragte:
    »Warum?«
    »Weil ich das eine Beleidigung finde. Reine Altersdiskriminierung. Als würden die Alten was anderes zum Essen brauchen als die Jungen.«
    »Es gibt ja auch Kinderteller.«
    »Das wär mir noch sympathischer. Aber was ist der Unterschied?«
    »Keine Ahnung!«
    Die Bedienung stand schon wieder da.
    »Schon was gefunden?«
    Ich sagte:
    »Wir sind da auf eine Frage gestoßen. Vielleicht können Sie uns aufklären. Was ist der Unterschied zwischen einem Seniorenteller und einem Kinderteller?«
    Sie errötete leicht, was ihr gut stand, sagte:
    »Also … eigentlich … keiner … nur … ja richtig: Bei dem Kinderteller, da sind Pommes drauf …«
    Ich: »Und bei dem Seniorenteller …?«
    Ihre Morgenröte im Gesicht wurde zur Abendröte und weitete sich auf den Hals aus bis zum Ansatz ihres

Weitere Kostenlose Bücher