Kruzifix
besuchen.«
»Darauf einen Dujardin!«
Er lachte. »Den kenn ich auch noch, den alten Spruch!«
Wir stießen an.
»Und noch ein Letztes, Willi, was mich umtreibt. Deine junge Geliebte war doch schwanger. Was ist aus dem Kind geworden?«
»Ein Mädchen. Ein ausnehmend hübsches Mädchen. Charmant. Gescheit. Seine Mutter ließ es sich nicht nehmen, sie auf den Namen Vasthi zu taufen.«
»Willi, halt mich fest, mich haut es gleich vom Sockel. Dann ist die Mutter von deiner Tochter Vasthi die Esther Graf, deine Ex-Verlobte und Professorin für Feministische Religionswissenschaft in Konstanz!«
»Du sagst es!«
»Willi, ich frag dich nie mehr was. Wenigstens heute nicht mehr. Das haut mich um.«
»Ja, das ist alles vorbei. Jetzt schauen wir in unsere glorreiche Zukunft. Wir sind ja noch im besten Alter.«
Wir schraubten das Schild, schwarz mit weißer Gravur, an die Eingangstür, an der ich vor Jahresfrist eins auf die Nase gekriegt hatte. Dann schauten wir es an, waren glücklich, und stießen auf den Täufling an. Er hieß:
B . I . E . R .
Bär Investigations Enquiries Rössle
Von irgendwas muss man ja schließlich leben.
Kommt ein Vogel geflogen
Wir saßen vor der Alm. Auf der Bank.
Urlaub ohne Urlaub.
Ruhestand ohne Ruhe.
Warten.
Ich sagte:
»Scheiße. Jetzt hocken wir da. Kein Auftrag. Nix. Seit einem Jahr.«
Rössle nickte.
Die Party war vorbei. Jahrestag unserer B . I . E . R .-Gründung.
Der Champagner schal.
Eine halbe Flasche stand beleidigt in der Ecke.
Keiner von uns hatte sie aufgeräumt. Als wäre sie giftig.
Am dritten Tag, der nervig sonnig war, sagte ich:
»Diese Herumhockerei geht mir auf den Nerv.«
Er: »Man müsste was tun.«
Ich: »Was?«
»Irgendwas.«
»Ja, irgendwas wär besser als gar nix.«
Die einzige Abwechslung waren die Wanderer und Spaziergänger.
Frauen mit Walking Sticks schritten behände bergauf. Hinterher dackelten ihre Männer, die schleiften ihre Stöcke hinter sich her, sie kratzten auf dem Teer.
Mountainbiker rasten vorbei, schossen hinab, keuchten hinauf, Familienväter studierten generalstabsmäßig die Karten, lasen die Hinweisschilder, sagten:
»Wir sind hier. Hier sind wir.«
»Die haben’s gut«, sagte Rössle. »Die wissen, wo sie sind.«
Ich: »Und wo sie hingehören.«
Er: »Und wohin sie wollen.«
Ich: »Und alle haben einen Schutzhelm auf. Das hat’s früher auch nicht gegeben.«
»Beim Adolf schon … Aber da war Krieg. Ja, komisch … Schutzhelm … Was die schützen müssen? Ist doch meistens nur Luft drin, im Hirn.«
Ich sagte: »Luftschutz!«
Er verzog keine Miene. Hätte wenigstens anstandshalber lächeln können. Er war der Trübsinn in Person.
Wir saßen wie in einem Glaskasten. Mental. Draußen der Sommer. Sahen Sommersonnenschein. Hörten Kuhglockenläuten.
Wie durch Glas.
Unten aus dem Wald tauchte ein gelbes Postauto auf. Ein VW Caddy.
Ein Ruck ging durch uns. Beide.
Es ruckte uns noch mehr, als wir sahen, dass das Postauto langsamer wurde. Sonst wurde es meist schneller, raste an uns vorbei, zu den Nachbarhöfen.
Heute hielt das Auto.
… hat ein Zetterl im Schnabel …
Ich sprang von der Bank auf.
Rössle blieb apathisch hocken.
Die Postbotin stieg aus. Rief: »Boschd!«, und wedelte mit einem Brief in der Hand.
Ich sah sofort: ein Luftpostbrief. An den blau-rot gestreiften Rändern.
»Dr. Emil Bär?«
Ich entriss ihr den Brief.
… von der Mutter einen Gruß …
»Danke!«
»Schon recht. Pfüad di!«
»Pfüad di!«
Ich schaute auf den Absender.
Schnappte nach Luft.
»Auftrag?«, rief Rössle.
»Nein«, rief ich ins Tal hinab.
»Was dann?«
»Für mich.«
»Ah so.«
»Vom Frederick«, log ich. Frederick ist mein Sohn.
»Wo steckt er denn gerade?«
»In Australien.«
»Australien?« Rössle wurde einen Schatten blasser, als er ohnehin schon war. Warum macht Australien blass?
Ich riss den Brief auf. Überflog ihn. Noch am Zaun.
Ich sagte ins Tal hinab:
»Er hat einen Job gekriegt in Australien.«
»Wo?«
»In Melbourne. An der Monash-Universität. Assistant Professor für Informatik, Schwerpunkt Mathematik.«
»Gratuliere.«
Seine Farbe war ins Gesicht zurückgekehrt. Er schnaufte tief durch. Ich steckte den Brief weg.
Rössle sagte:
»Bisschen weit weg. Australien.«
Ich sagte:
»Neuseeland wär noch weiter … Ja, es wär mir lieber, er wär näher da. München, Konstanz, Basel, Zürich. Kempten.«
»In Kempten gibt’s keine Uni.«
»Leider.«
»Ja, die jungen Leut,
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