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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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den Theo abgehängt, sie war zuerst da. Das heißt, der Feuerwehrhauptmann. Wie es die Dr.   Graf angestellt hatte, ihn zur Verschwiegenheit zu bringen, war mir lange unklar gewesen. Im Lauf des Jahres erfuhr ich zufällig bei einem Feuerwehrfest, über das ich für das Kemptener Tagblatt berichtete, dass der Feuerwehrhauptmann Vorsitzender vom Pfarrgemeinderat in Kempten war. Vielleicht war es die Loyalität zu seiner Kirche, die ihn veranlasst hatte, den Mund zu halten. Vielleicht aber hatten ihn Rössle oder seine Tochter auch anderweitig in der Hand. Jeder hat Dreck am Stecken, jeden kann man erpressen, wenn man den Dreck kennt. Die Notärztin Dr.   Graf konnte jedenfalls Tod durch Herzstillstand feststellen. Korrekt, wenn auch nicht die ganze Wahrheit. Sie ließ den Abschiedszettel verschwinden. Das konnte sie nur, weil die Polizei zu spät kam: Stau auf der Autobahn. Die Polizei nahm ihr den Herzstillstand ab, man kannte sich ja, und alle wollten die Sache möglichst schnell und unauffällig über die Bühne bringen. Besonders am Sonntagvormittag.
    Magnus Augstein konnte die Herztod-Legende durch einen kurzen Bericht in seinem Tagblatt als Tatsache verkaufen, die Organistin wurde quasi für verrückt erklärt und in eine Nervenheilanstalt gesteckt, sogar ins Ausland, weiß Gott wohin, und der Messner Adolf konnte trotz besseren Wissens dieser Geschichte nicht widersprechen, sonst hätte er sich verraten.
    Natürlich tauschte sich die Dr.   Graf ständig auch mit ihrem Freund aus, dem Chefredakteur Magnus Augstein. Er und Rössle bekamen von Dr.   Graf alle wichtigen Informationen über den Fortschritt meiner Ermittlungen – durch meine Blessuren. Und für den Redakteur wurde ich vom Feind zum Freund. Er schlug mir sogar den Titel meiner neuen Kolumne vor: »Kruzifix«. Es kostete ihm zuerst ein Dutzend Abonnements, es gab einen Sturm an Leserbriefen, für und wider, in denen christliche Taliban ihre Dummheit öffentlich zur Schau stellten, und nach einem halben Jahr waren zwei Dutzend Abonnements dazugekommen.
    »Ich muss jetzt weiter«, sagte meine Nachbarin.
    Mein Handy klingelte.
    »Hallo, Willi. Es hat geklappt. Gratuliere zu deinem Ruhestand! … Ah … vorläufiger … auch wurscht … Mit sofortiger Wirkung … ja, ja. Gottes Mühlen mahlen schnell … Ja, dein Appartement ist fertig. Schön geworden. Die Putzfrau kommt noch. Bis Samstag ist alles tipptopp … Ja, auch Laptop. Also bis Samstag dann! Und vergiss das Schild nicht!«
    Unser Plan, den uns der HERR in jenem Rausch vor einem Jahr eingegeben hatte, war aufgegangen. Rössle hatte seinen vorzeitigen Ruhestand provoziert. Die Kinder Theo und Dora hatten keine Väter, aber zwei Paten. Uns zwei. Rössle legte auf meine zwanzigtausend Euro Honorar, mit dem er mich erpresst hatte, und den zehntausend Euro, die ich von ihm erpresst hatte, noch mal denselben Betrag drauf. Damals dachte ich, er ist halt so human. Später sollte ich den wahren Grund erfahren. Egal: Es war ein nobles Taufgeschenk für Theo und Dora. Je dreißigtausend Euro. In memoriam Theodor Amadagio.
    Am folgenden Samstag fuhr Rössle mit seinem silbernen Mercedes-Kombi an der Alm vor. Wir luden sein Zeug aus. Wieder schien die Sonne. Eine Sauhitze für einen Umzug.
    Als wir fertig waren, sagte ich:
    »Ich habe den Schampus kalt gestellt. Komm, jetzt machen wir unsere private Taufe. Hier ist der Schraubenzieher, hol das Schild.«
    Ich füllte die Sektgläser. Er kam mit einem Schild.
    »Ach, Willi, mir ist gerade was eingefallen. Du hast vor einem Jahr im Pflegeheim bei meiner Mutter gesagt, du wirst mir verraten, warum du mein schlampiges Verhältnis zur Frau deines Freundes deckst. Wenn unsere dienstliche Beziehung zu Ende ist, hast du gesagt, sagst du es mir. Also jetzt. Und?«
    Willibald Rössle lächelte. Sagte:
    »Du vergisst auch nix!«
    Er blickte hoch konzentriert auf die Kohlensäureperlen, die in den Sektgläsern aufstiegen.
    »Ich hab dir doch damals in der feuchten Nacht erzählt, wie ich ins Priesterseminar geriet.«
    »Ja, dein bester Freund hat dir deine Geliebte weggeheiratet.«
    »Genau. Die Ehe wurde nach ein paar Jahren wieder geschieden. Er wurde später Polizeipräsident. Heiratete wieder. Du kennst die Dame …«
    »Nein … nein, das gibt’s doch nicht …«
    »Gibt’s doch. Polizeipräsident von Augsburg. Und du, Emil, bist zu meinem Racheengel geworden. Ich freu mich bis heute noch jedes Mal, wenn du nach Augsburg fährst, deine Mutter

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