Kryptum
höhnt:
›Wirft der Jud der Ente Brot hin‚ so hat er einzig den fetten Braten im Sinn.‹
Das ist ein altes Sprichwort, mit dem man sich über die Ungeduld der Juden lustig macht, aus ihren Investitionen Gewinn zu schlagen. Er will ihn demnach provozieren, die Reinheit seines Blutes in Frage stellen. Calderón ist sich des Ernstes der Lage bewußt. Nun bedauert er, keinen seiner Dienstboten mitgenommen zu haben, wie man ihm so oft angeraten hat, und besonders bekümmert ihn, daß er seinen kleinen Sohn dabeihat, dem etwas zustoßen könnte. Aber die Reue kommt zu spät.
›Na, na, hier sind wir doch alle alte Christen‹, sagt er versöhnlich und versucht sich dem Klauengriff des Soldaten zu entwinden.
›Das wollen wir erst mal sehen!‹ brüllt das Großmaul, womit es ihm gelingt, einen Kreis um sie herum zu bilden. Einige erkennen den Bevollmächtigten des Königs wieder, der die Casa de la Estanca verwaltet und dem sie jetzt lauthals Schludrigkeit unterstellen, ihn gar beschuldigen, daß er für den Wassermangel verantwortlich sei und sich wie die Wasserträger schamlos an ihnen bereichere.
Angespornt von den Beschimpfungen, die Don Manuel nun von allen Seiten zufliegen, läßt auch der Prahlhans nicht von ihm ab. Calderón und sein Sohn sind von lauter erzürnten Gesichtern und erhobenen Fäusten umgeben. Sie sehen sich schon vollkommen umzingelt und sich mit Händen und Füßen gegen |241| die aufgewiegelte Menge wehren, ein einziger Alptraum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Kaum verstehen sie die Beleidigungen, die ihnen an den Kopf geworfen werden. Es müßte nur jemand zum ersten Fausthieb ausholen, und ihr Schicksal wäre besiegelt. Don Manuel bedeutet seinem Sohn, sich davonzustehlen, aber Rafael klammert sich weinend an seine Beine und macht so jede Bewegung unmöglich. Don Manuel muß das Kind mit den Armen schützen und ist deshalb selbst ohne Deckung. Die Gemüter sind erhitzt, man wird ihn ohne Erbarmen richten.
In diesem Augenblick drängt sich jemand durch die feindselige Meute, die sich um Calderón und den großtuerischen Soldaten geschart hat. Es ist der Gaukler. Als er erkennt, was los ist, klatscht er ein paarmal kräftig in die Hände, um die Aufmerksamkeit des Publikums zurückzugewinnen, packt Zenturio an der Hand und zerrt ihn – ohne dessen Protest und Drohworten Beachtung zu schenken – zu seinem Esel. Dann wendet er sich wieder an die Menge.
›Ich habe mich ja mit einem Esel zufriedengegeben, aber wen haben wir denn da?‹ Unter dem Lachen der Zuschauer zeigt er auf Zenturio. ›Einen unserer heroischsten Soldaten! Mit dem Schwert in der Hand ist er seinen Feinden das, was der Adler für die übrigen Vögel ist: alle zittern sie vor ihm. Er ist so stark, daß er mit einem Schwerthieb seinem Widersacher den Kopf so schwungvoll abschlagen kann, daß dieser weit hinauf in die Luft geschleudert wird, und zwar so hoch, daß er schon halb von den Fliegen zerfressen ist, wenn er schließlich auf den Boden fällt.‹
Die Menge umringt nun wieder den Possenreißer und bejubelt seine Scherzrede.
›Aber unser Soldat schwingt sein Schwert nicht nur bei solchen Gelegenheiten‹, fährt der junge Mann fort, ›er kann auch sehr galant sein, wie damals, als er seine Dame in die Kirche begleitet hatte und es nach der Messe zu regnen begann. Da zog er sein Schwert und schwang es so schnell über ihrem Kopf, daß seine Dame kein einziger Regentropfen traf.‹
|242| Das Publikum biegt sich vor Lachen und hat Don Manuel schon vergessen, dem der Spaßmacher einen schnellen Blick zuwirft, damit er die Gelegenheit nutzt, seinen Sohn bei der Hand zu packen und sich davonzumachen. Doch Zenturio merkt es. Er will die Verfolgung aufnehmen, da versperrt der Gaukler ihm den Weg und rezitiert die folgende Redondilla.
Der Blinde möchte gerne sehen,
und hören den Tauben würde beglücken,
der Dickbauch gern dünner sich sähe,
und der Lahme sehnt sich zu gehen;
Abhilfe kann es nur nicht geben
für einen, und das ist der törichte Geist,
schon alles zu wissen glaubt er dreist,
und strebt drum nicht nach mehr Erleben.
Der Soldat fühlt sich vor allen bloßgestellt, aber er kann nichts dagegen tun, würde er sonst doch jedem zu verstehen geben, daß das Spottgedicht auf ihn gemünzt ist. Er hält also vorerst still, und bevor er sich eines anderen besinnt, packt der Possenreißer das Großmaul beim Arm und fährt mit seinem Spektakel an der Stelle fort, wo er zuvor unterbrochen worden
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