Kryptum
war.
›Meine Herrschaften, wir wollen doch nicht den ganzen Tag damit verlieren, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Ihr alle und auch du, tapferer Soldat, habt noch nicht die ganze Geschichte gehört, die ich meinem Eselchen zu erzählen habe. Dieser Esel hier ist ein recht verwöhntes Langohr, er leckt sich bereits die Lippen bei der Vorstellung, an der Fronleichnamsprozession teilzunehmen, eine schöne Dame auf dem Rücken die ihn zuvor reichlich gefüttert und noch mehr gehätschelt hat. Aber nicht alle, die diesem Fest beiwohnen werden, haben so ein Glück. Ich zum Beispiel habe mein Grauchen bereits einer verwitweten, knauserigen Vettel versprochen.‹
Als der Esel diese Worte vernimmt, fängt er sofort an zu lahmen, und die Menge applaudiert seiner Frechheit. Da dreht sich der Gaukler zu seinem Tier um.
|243| ›Gefallen dir etwa die jungen Mädchen?‹
Der Esel nickt zustimmend, worauf ihn sein Herr ermunternd ansieht.
›Hier gibt es reichlich davon. Sag, welche gefällt dir denn am besten?‹
Das Tier trottet im Kreis herum und zeigt flugs mit dem Kopf auf eines der jungen Mädchen, das errötend die Hände vors Gesicht schlägt. Das Publikum bejubelt die Entschlossenheit des Eselchens und beginnt über das Glück des Mädchens zu scherzen, einen solch artigen Galan gefunden zu haben. Der Possenreißer geht nun noch einmal mit dem Hut herum, dann steckt er die Münzen ein, verbeugt sich nach allen Seiten, steigt auf seinen Esel und reitet unter dem Beifall der Schaulustigen davon.
Zu diesem Zeitpunkt haben sich Don Manuel und Rafael bereits in Sicherheit gebracht. Calderón kann den Vorfall nicht vergessen. Er ist dem Gaukler außerordentlich dankbar dafür, daß er ihnen geholfen hat, jenen kritischen Augenblick unbeschadet zu überstehen. Am folgenden Donnerstag geht er deshalb wieder zum Markt – diesmal ohne seinen Sohn und in Begleitung seiner unauffällig bewaffneten Dienstboten –, in der Hoffnung, ihn dort zu sehen und ihm seinen Dank aussprechen zu können.
Doch er trifft ihn nicht an, und es gibt auch niemanden, der ihm sagen kann, wo er sich gerade aufhält. Man weiß nur, daß er an manchen Tagen in der Woche mit seinem Esel Wasser vom Fluß hinauf in die Stadt transportiert, um es dort zu verkaufen. Also beschließt Don Manuel, unter den Wasserträgern nach ihm Ausschau zu halten, doch seine Bemühungen bleiben vergeblich. Bis eines schönen Tages Rafael ins Haus gerannt kommt und laut nach ihm ruft.
›Vater, kommt schnell! Beeilt Euch!‹
Calderón läuft hinter seinem Sohn hinaus und hört schon von weitem großen Lärm in einer nahe gelegenen Straße.
Dort angekommen, drängt er sich durch die Menge und erkennt den Gaukler und sein Eselchen. Der junge Bursche |244| liegt auf dem staubigen Boden, und aus seinem Bauch quillt Blut. Als er die Umstehenden fragt, was vorgefallen sei, zeigen sie auf einen Mann, der eilig davonläuft und den Don Manuel unschwer als Zenturio identifiziert. Anscheinend hat der großmäulige Soldat nach einem Zechgelage Durst verspürt und deshalb den ersten Wasserhändler, der seinen Weg kreuzte, um Wasser angegangen. Als dieser ihm den Krug reichte, habe ihn der Raufbold erkannt und ihm sein Wasser ins Gesicht geschüttet. Der Esel sei seinem Herrn daraufhin zu Hilfe geeilt und habe dem Soldaten einen derartigen Hufschlag versetzt, daß er zu Boden ging. Ganz von Sinnen habe sich der Prahlhans erhoben, sein Schwert gezogen und sei auf den Esel losgegangen. Und als der Wasserhändler dazwischenging, habe Zenturio eben ihm den Hieb versetzt. All dies habe sich blitzschnell ereignet, wie ihm die aufgeregten Augenzeugen berichten.
Manuel Calderón schickt Rafael nach Hause, damit er seiner Mutter, Doña Blanca, Bescheid gibt, die ihm mehrere Dienstboten schicken soll, um den jungen Mann in den Palast der Casa de la Estanca zu bringen. Doch der Gaukler will nichts davon wissen, bis er sich vergewissert hat, daß sein Grauchen mitkommt. Dann verliert er das Bewußtsein.
Die robuste Natur des Wasserträgers erweist sich indes schnell als stärker als die Verletzungen, die wider Erwarten nicht allzu schwer sind. Er stellt sich ihnen als Pacheco vor, und während seiner Genesung bekümmert ihn am meisten, daß er sich sein Brot nicht mehr mit seiner vorherigen schweren Arbeit verdienen kann. Aber Doña Blanca, Don Manuel und Rafael Calderón sprechen ihm Mut zu und versichern ihm, daß es ihm in ihrem Haus nie an einem Bett und einer Mahlzeit fehlen werde,
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