Kryptum
Stadt, die für das Schicksal ihrer beider Familien so bedeutsam war. Er betete, daß die alten Wunden nicht wieder aufrissen. Bei ihrer Ankunft würden sie schon genug Schwierigkeiten haben.
»Rachel, macht es dir angst, nach Antigua zu fliegen?« wagte er leise zu fragen, als er sah, daß die junge Frau sich aufrichtete, weil sie anscheinend auch keinen Schlaf fand.
»Merkt man mir das an?« Sie wurde rot. »Ich weiß nicht, ob es Angst ist. Es ist nur … meine Mutter hat sich stets bemüht, mich von alldem fernzuhalten. Sie hat immer gesagt, über dieser Stadt liege der ›Fluch der Toledanos‹.«
»Irgendwann mußt du dich dem sowieso stellen …«
Er wartete, doch sie vertraute sich ihm nicht weiter an. Die |233| Fragen schienen ihr höchst unangenehm zu sein, weshalb er lieber nicht länger bohrte.
»Ich werde jetzt auch ein Nickerchen machen. Gute Nacht, Rachel, schlaf gut.«
»John …«
»Ja?«
»Könntest du mir die Mappe geben? Ich schlafe im Flugzeug nie gut … Wenn ich nicht einschlafen kann, würde ich gern ein wenig in diesen Dokumenten blättern.«
Als David sich eine Stunde später in seinem Sitz umdrehte und dabei schlaftrunken die Augen öffnete, war er überrascht, Licht über Rachels Platz zu sehen. Diese Frau benimmt sich immer seltsamer. Warum die Eile? Was hat sie zu verbergen? fragte er sich, als er sie aufmerksam die Papiere studieren sah. Sie schien nicht bemerkt zu haben, daß er sie beobachtete, und er war viel zu müde, um sie darauf anzusprechen. So dachte er nur noch: Hoffentlich bestätigen sich meine schlimmsten Befürchtungen nicht, bevor ihn wieder der Schlaf übermannte.
|234| IV Pacheco
Was für Neuigkeiten bringst du mir von Juan de Herrera?« Das sind die Worte, mit denen Randa seine Tochter begrüßt.
»Nur wenige, und schlechte noch dazu«, antwortet Ruth verzagt.
»Was soll das heißen?«
»Ich fürchte, außer meinem Mann und mir gibt es niemanden, der Euch helfen könnte.«
»Was ist mit Herrera?«
»Rafael sagt, er sei es gewesen, der Euch denunziert hat.«
»Das ist unmöglich!« Randa schlägt die Hände vors Gesicht. Er fühlt, wie all seine Pläne sich in Luft auflösen – und weigert sich, das zu akzeptieren. »Dein Mann kennt ihn nicht so gut wie ich. Das
kann
nicht sein.«
»Wie könnt Ihr Euch da so sicher sein?«
»Weil er viele Gelegenheiten hatte, mich zu verraten, und er hat es dennoch nie getan.«
»Ich nehme an, Ihr sprecht von Euren Erlebnissen mit Don Manuel Calderón, nachdem Kaiser Karl V. Euch in Yuste eröffnet hatte, wer die Casa de la Estanca bewohnte.«
»Wer hat dir das erzählt?«
|235| »Rafael. Er war damals zwar noch sehr klein, aber er erinnert sich noch ganz genau daran. Es war sein Geburtstag.«
Dieses Mal ist es Ruth, die jenen Tag heraufbeschwört, an dem ihr zukünftiger Ehemann, Rafael Calderón, mit seinem Vater, Don Manuel, zum Marktplatz von Antigua unterwegs war.
»Es sind keine guten Zeiten. Die Steuern sind gerade erhöht worden, das Land wird von einer Dürre heimgesucht, und die Menschen leiden große Not. Als die Brunnen versiegen, müssen Maultiere das Wasser in Krügen aus der tiefen Schlucht des Flusses den Steilhang hinauf in die Stadt schaffen, wo es die Wasserträger von Tür zu Tür verkaufen. Die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung richtet sich deshalb besonders gegen den Beauftragten der Casa de la Estanca, denn dieser herrschaftliche Turm ist einstmals zu dem Zweck errichtet worden, den Wasserstand der Brunnen und Quellen zu regulieren und die Wasserversorgung der Stadt zu garantieren.
Zu jener Zeit ist Don Manuel Calderón mit dieser Aufgabe betraut. Angesichts der aufrührerischen Stimmung unter den Einwohnern weiß er sehr wohl um die Gefahr eines Volksaufstands. Vor allem, wenn der Pöbel einen königlichen Abgesandten vor sich hat, an dem er seine Wut auslassen kann. Es muß nur jemand mit dem Finger auf ihn zeigen, damit ein Tumult losbricht; schon mehr als einmal hat das zu einem Blutbad geführt. Aus diesem Grund verschanzen sich die meisten von seinen Kameraden lieber hinter den dicken Mauern des Alkazars, und wenn sie sich unbedingt ins Getümmel stürzen müssen, um an Markttagen das Allernotwendigste zu kaufen, wagen sie sich nur mit Eskorte in die Stadt und meiden die belebten Straßen.
Don Manuel hält diese Verhaltensweise für einen Fehler, da es die Situation nur noch schlimmer mache. ›Wer wird sich schon mit einem alten Mann wie mir anlegen?‹ pflegt er zu
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