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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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lassen, damit ein Schreiber dort eine Abschrift anfertigen konnte. Darüber hinaus unterhielt er in Damaskus, Bagdad, Konstantinopel und Alexandria ein Netz von Händlern, die den Auftrag hatten, überall neue Handschriften zu erwerben. Bald besaß die Bibliothek über vierhunderttausend Bände. Als keine weiteren Regale mehr aufgestellt werden konnten und die Bibliothek in einen neuen Palast verlegt werden mußte, dauerte der Umzug sechs Monate, und die Bestandsaufnahme füllte vierundvierzig dicke Kodizes.‹
    ›Und dies hier war also das kostbarste Pergament jener Bibliothek?‹ fragt Azarquiel den Rabbiner.
    ›Es war nicht nur das kostbarste; die Bibliothek war anscheinend eigens dafür gebaut worden. Al-Hakams Sammeln all der Handschriften war im Grunde nur darauf ausgerichtet gewesen, dieses Pergament in seinen Besitz zu bringen.
    Man erfuhr nie, woher es wirklich stammte. Es gehörte zu einem Kodex, der
Sarazenischen Chronik
, die die Eroberung Spaniens durch die Mauren erzählt. Kaum war die Handschrift in der Stadt eingetroffen, nahm Ibn Shaprut sie persönlich in |307| Empfang und brachte sie unverzüglich zum Kalifen. Al-Hakam II. sagte sofort alle noch ausstehenden Audienzen ab und schloß sich mit seinem engsten Berater in die Palastbibliothek ein, zu der nur der Kalif und Ibn Shaprut Zutritt hatten. Darin wurde eine ganz besondere Sammlung von mehreren hundert Kodizes aufbewahrt, und an ihrer Tür, die rund um die Uhr bewacht wurde, stand dieser Leitspruch:
Die volle Wahrheit
ist nicht in einem einzigen, sondern in vielen Träumen zu finden
.
    In der Folgezeit häuften sich Ibn Shapruts Besuche in Antigua. Sie erfolgten stets unter strengster Geheimhaltung. Doch währte dies nicht lange, denn seine und des Kalifen Tage waren gezählt. Sie starben fast zur gleichen Zeit, und mit ihnen starb ihr Geheimnis. Niemand konnte ahnen, daß das Kalifat von Córdoba nach ihrem Tod in die Barbarei zurücksinken würde unter dem despotischen Großwesir al-Mansur, den die Christen Almansor nennen. Um die größten Glaubenseiferer auf seine Seite zu ziehen, befahl er, alle der Irrlehre verdächtigen Bücher aus der unvergleichlichen Bibliothek des Kalifen zu vernichten. Er selbst zündete die Scheiterhaufen an, die Tag und Nacht brannten. Die anderen wurden auf den arabischen Märkten verschleudert. Selbst nach vielen Jahren konnte man manche dieser Buchrollen und Kodizes noch in den Antiquariaten von Fes erwerben.‹
    Es liegt tiefe Trauer in Samuel Toledanos Stimme, jetzt, da er seine Erzählung beendet hat.
    ›Versteht Ihr nun, warum es ein wahres Wunder ist, daß Ihr dieses Pergament gefunden habt?‹ fragt der alte Rabbiner.
    ›Und weshalb ist es so kostbar?‹ will Azarquiel wissen.
    ›Das habe ich Euch bereits gesagt: weil es das Geheimnis von ETEMENANKI hütet,
den letzten Schlüssel,
die verborgene Sprache des Universums, mit der Gott die Welt erschuf und die allem zugrunde liegt. Es heißt, selbst wenn die Städte untergehen oder die Völker sich verstreuen und alles wieder in Unwissenheit und Finsternis versinkt, so wird doch nicht alles verloren sein, sofern noch irgend jemand diese Sprache versteht. Doch begibt man sich in große Gefahr, wenn man sie ergründen |308| will, denn sie soll dasselbe Wesen wie unser Bewußtsein haben, ja selbst wie die Gottheit, aus der sie hervorgegangen ist. Habt Ihr auch den Kodex mitgebracht, in dem man dieses Pergament gefunden hat?‹
    ›Welchen Kodex?‹
    ›Die
Sarazenische Chronik
, in der geschildert wird, wie und wo die Zeichnungen auf diesem Pergament angefertigt worden sind. Ohne diese Chronik wäre es wahrlich tollkühn, sich damit zu beschäftigen …‹
    Mit den letzten Worten des Rabbiners hat sich das Gesicht des Fremden verdüstert, denn er fürchtet nun, daß dieser ihm seine Bitte abschlagen wird. Doch kennt er den Charakter des Alten nicht, der seine Rede noch nicht beendet hat.
    ›… aber seid unbesorgt, Azarquiel. Ich habe lange genug gelebt, habe viele Kinder und Kindeskinder. Die Saat der Toledanos ist also aufgegangen, und ich habe keine Angst vor dem, was mir zustoßen könnte. Meine Neugier ist stärker. Im Schoß göttlicher Geheimnisse zu sterben ist schließlich ein Privileg, das nur wenigen zuteil wird. Es wird kein schlechtes Grab sein, sollte es so kommen. Da sich dieses Dokument Euch
offenbart
hat, werde ich Euch helfen, es zu entschlüsseln, auch ohne die
Sarazenische Chronik
. Ich stelle nur eine Bedingung: Den Nutzen, den Ihr

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