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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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Teil der Reise, auf einer Brigg, die auf dem Weg nach Spanien war und den Stürmen, die uns der Golf du Lion bescherte, nur schwer trotzen konnte. Doch schließlich kamen wir ohne weitere Zwischenfälle in Barcelona an, und von dort brachen wir unverzüglich nach Antigua auf.«
    Randa hält es für das Beste, seine Erzählung an dieser Stelle zu beenden. Er weiß, daß Artal bald die Tür aufschließen wird, um Ruth abzuholen, und er möchte zuvor noch etwas mit seiner Tochter besprechen.
    »Hast du eigentlich noch Rebeccas Webstuhl?«
    Die junge Frau schüttelt den Kopf.
    »Sie haben ihn uns weggenommen, so wie Mutter ihn hinterlassen hat. Mitsamt dem Wandteppich, an dem sie in Erwartung Eurer Rückkehr webte.«
    »Und wer hat ihn jetzt?«
    »Wir mußten unser Hab und Gut versteigern, um alle unsere Schulden bezahlen zu können. Den Webstuhl wollte niemand, weil er schon so alt war. Er steht im Haus eines Bankiers.«
    »Du mußt ihn unbedingt auslösen.«
    »Aber Vater, wie stellt Ihr Euch das vor? Das wird nicht möglich sein.«
    »Du
mußt
es schaffen. Geh zu diesem Bankier und flehe ihn an. Erzähl ihm, du bräuchtest den Webstuhl, um dich und das Kind unter deinem Herzen zu ernähren …«
    »Warum ist das denn so wichtig?«
    In diesem Augenblick quietscht der Schlüssel im Schloß, |325| und Randa kann seiner Tochter gerade noch ein paar Worte ins Ohr flüstern, bevor sich auf der Schwelle Artal de Mendozas Silhouette abzeichnet. Doch er hat noch etwas anderes im Sinn. Unter dem Vorwand, Ruth zur Tür zu begleiten, steigt er neben ihr die Treppen hoch und mustert dabei unauffällig die silberne Hand des Vermummten. Er sieht sich genau an, wie er sich ihrer bedient. Und erlangt dabei die Gewißheit, daß sie auf seinen Handstumpf wie ein Fangeisen wirkt und ihrem Besitzer rasende Schmerzen bereitet.

|326| 6 Das Convento de los Milagros
    David Calderón blieb abrupt stehen, als er den Wagen vor dem Convento de los Milagros entdeckte. Aus einem dunklen Gefühl heraus erregte der schwarze Geländewagen sein Mißtrauen. Der Mann hinter dem Lenkrad hatte ihn zum Glück nicht bemerkt. Er rauchte und las Zeitung, als sich plötzlich die Klosterpforte öffnete und jemand nach ihm schrie. Der Fahrer mit dem kurzgeschorenen roten Haar legte die Zeitung zur Seite, warf die Kippe aus dem Fenster und stieg aus dem Wagen.
    Das ist bestimmt nicht nur ein einfacher Chauffeur, dachte der Kryptologe, der hinter einer Zypresse in Deckung gegangen war, dafür hat er viel zu viele Muskeln. Von seinem Versteck aus konnte er leider nicht sehen, wer ihn gerufen hatte. Der athletische Rotschopf war inzwischen zum Eingang gegangen, wo er sich nach einem großen Karton bückte, den sein Gefährte auf die Schwelle gestellt hatte. Er trug ihn zum Auto und verstaute ihn im Kofferraum. Dann machte er dasselbe mit einem zweiten Karton. Und noch mit einem dritten.
    Im selben Moment trat der zweite Mann aus der Klosterpforte. David erkannte ihn sofort: Es war der ganz in Schwarz gekleidete Mann mit den kantigen Gesichtszügen, den er bei |327| der Pressekonferenz neben dem windigen Kryptologen Samir gesehen hatte. Jetzt, im vollen Tageslicht, konnte er noch besser erkennen, wie klapperdürr er war. Er hatte einen seltsamen, geradezu ruckartigen Gang: Die linke Schulter hing herunter, als nutze er sie wie eine Brechstange, um den Rest des Körpers vorwärts zu bewegen. Die Ellbogen waren leicht nach hinten gezogen, was ihn wie einen Unglücksraben mit verkümmerten Flügeln aussehen ließ. David dachte zuerst, das liege an dem Laptop, den er unter dem Arm trug, aber auch nachdem er diesen ins Auto gelegt hatte, wiesen seine Schultern noch diese seltsame Asymmetrie auf.
    Der Mann war schon eingestiegen, als er sich noch einmal umblickte und dabei den Kryptologen entdeckte, der unvorsichtigerweise einen Schritt nach vorn gemacht hatte, um die beiden besser beobachten zu können. Daß David sie gesehen hatte, schien den Mann äußerst nervös zu machen, denn er knallte die Autotür zu und schrie den Fahrer an, worauf dieser den Rückwärtsgang einlegte und so fest aufs Gas trat, daß er mit der Stoßstange gegen einen der Poller krachte, die die Klostermauern schützten. Der Aufprall schien dem robusten Wagen allerdings nicht viel auszumachen. In eine große Staubwolke gehüllt, raste er mit quietschenden Reifen die von schlanken Zypressen gesäumte Zufahrt hinunter.
    Instinktiv hatte David seine Digitalkamera gezückt und ein Foto des

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