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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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und wir es allezeit bereuen würden, diesem Hinweis nicht nachgegangen zu sein.
    ›Nun denn‹, sagte Moisés Toledano, ›da ich Euch schon nicht davon abhalten kann, so hört mir zumindest zu: Den Worten jenes weitgereisten Moslems zufolge kann man das Labyrinth dieses Pergaments durch ein Loch im heiligen Felsen sehen, der dem Heiligtum seinen Namen gab. Die Öffnung soll so groß wie ein Menschenkopf sein und sich genau an der Stelle befinden, an der Abraham auf Geheiß Jahwes beinahe seinen Sohn Isaak geopfert hätte.‹
    Nach diesen Warnungen und Ratschlägen übergab uns Moisés Toledano schließlich die elf Pergamentzacken, und wir verabschiedeten uns von ihm und machten uns auf den Weg nach Jerusalem, wo wir …«
    »Daran erinnere ich mich«, unterbricht Ruth jetzt ihren Vater. »Ihr und Mutter habt Euch den ganzen Weg über gestritten.«
    »Und erinnerst du dich auch noch an die Stadt?«
    »Ich erinnere mich dunkel an ein ausgetrocknetes Flußbett, an dessen Hängen Olivenbäume wuchsen.«
    |318| »Das Kidrontal.«
    »Und an eine Kuppel, die im Sonnenlicht so golden wie eine Orange glänzte.«
    »Das ist die Kuppel des Felsendoms.«
    »Und außerdem noch an die Stadtmauer, die so trefflich hochgezogen war.«
    »Sie war damals gerade wieder aufgebaut worden. Genau wie die Karawanserei, wo wir behaupteten, Moslems zu sein, um dort übernachten zu können. Sobald man uns einen Schlafplatz zugewiesen hatte, machte ich mich auf den Weg zu dem Scheich jenes Gottesberges, auf dem der Felsendom stand. Ich erklärte ihm, ich käme aus Konstantinopel, sei Goldschmied und wolle dem Heiligtum eine silberne Lampe schenken, die ich eigenhändig hergestellt hätte. Der heilige Mann nahm sie hocherfreut in Empfang und fragte mich dann, wo meiner Einschätzung nach ein guter Platz für dieses Licht sei. Ich antwortete ihm, daß ich mich sehr geehrt fühlen würde, wenn es die Höhle erleuchten könnte, die unter dem Felsen lag. Er nickte zustimmend und schickte dann einen seiner Diener, die Lampe im Magazin mit Öl aufzufüllen; unterdessen wollte er mich auf meinem ersten Besuch des Haram begleiten.
    Anfangs war ich sehr froh darüber und fühlte mich geehrt. Doch schon bald merkte ich, daß er mich scharfsinnig auf die Probe stellen wollte. Er fragte mich vielerlei zu Konstantinopel, das er gut kannte, und schien mit meinen Antworten zufrieden. Doch war es ihm damit nicht genug, denn während wir an den Koranschülern vorbeigingen, die in kleinen Hütten am Fuß des Tempelberges Tag und Nacht Wache hielten, damit niemand den Ort entweihte, begann er ein Gebet zu sprechen, Verse aus dem Koran, in die jene Koranschüler einfielen, im Gegensatz zu mir, der ich auf diesem Gebiet ihrer Glaubenslehre nicht bewandert war.
    Wir gingen weiter, doch hier und da flocht er weitere Anrufungen aus dem Heiligen Buch ins Gespräch ein, irgendeine Belehrung oder Offenbarung aus dem Koran, die er jedoch nicht zu Ende führte, um zu sehen, ob ich sie ergänzen konnte. |319| Zwar erkannte ich mehr als einen dieser frommen Aussprüche wieder, war mir aber nicht sicher, wie die Verse weitergingen, und wagte daher nicht, sie fortzuführen, aus Angst, mich zu irren oder, schlimmer noch, daß mir irgendeine Gotteslästerung herausrutschte, weil ich den Text in meiner Unwissenheit verfälschte.
    Ich merkte, wie der Argwohn des Scheichs immer mehr wuchs, und als wir an der östlichen Mauer ankamen, begriff ich, daß ich meine Kenntnis ihres Glaubens deutlich zum Ausdruck bringen mußte, wenn ich nicht an Ort und Stelle als Ungläubiger entlarvt werden und mein Leben verlieren wollte.
    Er führte mich, wie gesagt, zur östlichen Mauer, die über dem Tal Josaphat liegt, durch das in Regenzeiten der Kidron fließt. In besagtem Tal liegen Jerusalems Begräbnisstätten, da dort das Jüngste Gericht stattfinden soll. Der Hüter des Haram zeigte mir eine Öffnung über dem Steilhang und erklärte mir, dort befinde sich eine unsichtbare Brücke namens Sirat, die feiner als ein Haar und schärfer als die Klinge eines Schwertes sei und über die die Gläubigen gehen müßten, um ins Paradies zu gelangen. Und dann hob er mit lauter, ausdrucksstarker Stimme zu sprechen an.
    ›Wer gehorsam und aufrichtig Gott gegenüber war, wird diese Brücke schnell wie ein Blitz, ein Windstoß oder ein scheuendes Pferd überqueren; wieder andere werden sich unter der Last ihrer Sünden dahinschleppen. Alle Ungläubigen aber, die sie zu betreten wagen, werden in den

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