Kryptum
erklommen und wurde als erstes von der Bulldogge beschnüffelt. Lazo führte ihn durch einen langen Flur mit ausgetretenen Bodenfliesen, von denen einige inzwischen lose waren. David erinnerte sich wieder an die Reihe von Zimmern links und rechts davon und an das geschmackvoll eingerichtete Büro seines Vaters ganz am Ende. Darauf ging Lazo jetzt zu.
Es war zu einem unordentlichen Wohnzimmer verkommen, das von einem großen Sofa beherrscht wurde, auf dem sich der Hund wie selbstverständlich ausstreckte.
»Diese Köter wissen nur zu gut, wo der schönste Platz im Haus ist«, erklärte Lazo mit einem Lachen. »He, Canelo, runter da, auf das Sofa setzen wir uns jetzt!«
Er vertrieb die Dogge mit einem Klaps auf die Schnauze und bot David den freien Platz an. Doch der Kryptologe wollte lieber stehenbleiben. Er trat ans Fenster. Hinter der halb heruntergelassenen Jalousie konnte man den Innenhof erahnen, der zu der Casa de la Estanca führte und von wo gedämpft das leise Gackern von Hühnern zu hören war. Auf dieser Seite schien alles ruhig zu sein.
Er drehte sich zu Gabriel Lazo um und sah ihn fragend an. Lazo ließ sich nicht lange bitten.
»Sie kennen mich nicht. Man hatte mich schon entlassen, als Sie geboren wurden. Ich weiß aber sehr gut, wer Sie sind. Ich hatte viel mit Ihrem Vater zu tun. Ich hätte Sie allerdings nicht erkannt, wenn nicht Ihr Name im Fernsehen eingeblendet worden wäre. Aber wenn man es einmal weiß, sieht man die Ähnlichkeit sofort.«
David blickte Lazo aufmerksam an. Wieviel Glauben konnte |348| er seinen Worten schenken? Er betrachtete das kantige Gesicht mit der zerfurchten Stirn, den schmalen, zusammengepreßten Lippen und den schwarzen, stechenden Augen. Wie alt mochte dieser Mann sein? Mitte sechzig? Wenn seinVater noch leben würde, wäre er jetzt um die siebzig. Es war gut möglich, daß Lazo ihn gekannt hatte. Mehr noch, vielleicht war dieser Mann derjenige, der im Hintergrund des Fotos zu sehen war, das in der Stiftung auf Saras Schreibtisch gestanden hatte.
Als erriete er seine Gedanken, fuhr Lazo fort:
»Ich war der Hausmeister hier, als Ihr Vater das Zentrum für Sephardische Studien aufbauen sollte. Ich kannte auch Abraham Toledano und seine Tochter. Eine hübsche Geschichte hatte sie mit Ihrem Vater laufen, wenn sie auch unglücklich ausging.«
»Von welcher Zeit sprechen Sie, Señor Lazo?«
»Von Anfang der sechziger Jahre. Den ›Señor‹ können Sie sich im übrigen sparen.«
Dieser Zeitpunkt stimmte tatsächlich mit der Rückkehr seines Vaters nach Antigua und dem Foto von der Plaza Mayor überein. Davids Herz machte einen Sprung. Endlich hatte er jemanden gefunden, der ihm erzählen konnte, was damals geschehen war.
»
Was
ist meinem Vater hier widerfahren?«
Als David merkte, was er getan hatte, war es schon zu spät. Den Ton, in dem er die Frage gestellt hatte, deutete Lazo völlig falsch. Zu allem Überfluß war David dabei auch noch ungestüm auf ihn zugegangen.
»Sie … Sie denken doch wohl nicht …«, stotterte der Mann und begann auf dem Sofa unruhig hin und her zu rutschen.
»Beruhigen Sie sich, Gabriel, ich denke gar nichts … Es ist nur aus niemandem herauszubringen, was meinem Vater in dieser verdammten Stadt zugestoßen ist.«
Doch sosehr er auch besänftigend auf ihn einredete, der Mann sank in sich zusammen, und sein Blick verlor sich im Nichts. Erst nach mehreren Minuten, die David endlos vorkamen, flüsterte er tonlos:
|349| »Ich weiß nicht, was man Ihnen erzählt hat, aber ich hatte damit nichts zu tun … Es war Gutiérrez, nicht wahr? Der Mann hat mich schon immer gehaßt. Und er hat auch Ihren Vater gehaßt.«
»Was hatte Inspektor Gutiérrez mit meinem Vater zu tun?«
Lazo sah ihn voller Mißtrauen an. Es fehlte nicht viel, daß er kein Sterbenswörtchen mehr sagte. Seine Angst vor dem Inspektor mußte riesengroß sein.
»Gabriel, glauben Sie mir«, flehte David, »ich habe Inspektor Gutiérrez erst heute morgen kennengelernt. Sie haben uns zusammen im Fernsehen gesehen, aber das hat nichts mit dem hier zu tun. Ich bin nicht von der Polizei.«
»Was machen Sie dann?«
David zögerte. Welchen Beruf sollte er einem Mann wie Lazo nennen, der nicht zu noch größeren Mißverständnissen führen würde?
»Ich helfe Sara Toledano mit ihrem Papierkram«, erklärte er schließlich. »Sie haben ihr früher auch geholfen, nicht wahr?«
Das war ganz offensichtlich sicheres Terrain. Lazo schien sich etwas zu beruhigen. Er nickte,
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