Kryptum
verhielt sich aber weiterhin abwartend.
»Seit wann kennen Sie Sara schon?« fragte David in dem Versuch, ihn aus der Reserve zu locken.
»Seit vielen, vielen Jahren.«
»Kam sie oft nach Antigua?«
»Zunächst nur im Sommer … In ihrer Abwesenheit paßte ich auf den Palast auf. Wenn die Toledanos kamen, quartierten sie sich immer im Obergeschoß ein. Auch Ihr Vater wohnte eine Zeitlang hier, bis er eine eigene Wohnung fand.«
Er hielt inne. Wieder hatte ihn das Mißtrauen gepackt.
»Sprechen Sie bitte weiter«, bat David.
»Ich half ihr, wo ich konnte, und begleitete sie auch, wenn sie mich darum bat. Aber nur am Anfang. Mit den Jahren lernte sie die Stadt gut kennen und kam allein klar.«
»Wollen Sie damit sagen, daß sie sich nicht mehr auf Sie verließ?«
|350| »Nein, das nicht. Aber sie war immer viel allein unterwegs. Und dieses Jahr zog sie gleich ins Convento de los Milagros. Ich vermute mal, sie hatte gefunden, wonach sie suchte.«
»Und was war das, wonach sie suchte?«
»Sie suche nach dem Haus ihrer Vorfahren, sagte sie immer, wenn ich sie danach fragte. Abraham Toledano, ihr Vater, hatte das auch schon behauptet. Aber ich habe das nie geglaubt. Vermutlich suchten sie dasselbe wie alle anderen auch …« Als er Davids verwunderten Gesichtsausdruck sah, erklärte er: »Sie wissen schon. Das Gold der Mauren. Den verborgenen Schatz …«
Ein trockener Husten ließ ihn stocken, bevor er mit glänzenden Augen und gesenkter Stimme weitersprach.
»Was man von Antigua sieht, ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Häuser wirken niedrig, aber das täuscht, eigentlich sind es nämlich wahre Wolkenkratzer, wenn man sie von unten betrachten würde. Die eigentliche Stadt fängt unter der Erde an. Sie haben keine Vorstellung, was die Erde hier alles schluckt. Die Leute hier laufen auf Bergen von Gold, ohne es zu ahnen.«
Seine Worte wurden von einem neuerlichen Hustenanfall erstickt. Als er sich etwas davon erholt hatte, blickte er David an, der ihm mit immer größeren Augen zugehört hatte, und schüttelte dann verärgert den Kopf.
»Sie glauben mir nicht, stimmt’s? Das habe ich mir schon gedacht.«
Er stand auf und ging aus dem Zimmer. David hörte, wie er durch den Flur schlurfte und dann irgendwo Türen und Schubladen aufriß. Kurz darauf kam er mit seinem Hund und einem Stoß Papier wieder zurück. Er hielt ihm eine Fotografie hin. Darauf waren eindrucksvolle Befestigungsanlagen zu sehen, die der Blitz der Kamera inmitten völliger Dunkelheit erleuchtet hatte. Um die zyklopischen Mauern herum … nichts. Es mußte eine Aufnahme sein, die irgendwo unter der Erde gemacht worden war.
»Das ist es, wonach Sara Toledano in Wahrheit gesucht hat«, sagte Lazo.
|351| »Hat Sara dieses Foto geknipst?«
»Nein. Das ist von mir.«
»Haben Sie es ihr gezeigt?«
»Nein. Ich habe es erst vor ein paar Wochen gemacht, und Sara habe ich in letzter Zeit kaum gesehen.«
»Und warum glauben Sie, daß sie genau danach gesucht hat? Was ist so besonders an dem Foto?«
»Da war eine tiefe Schlucht, die mir den Weg versperrt hat, deshalb konnte ich nicht nahe genug an diese Mauern heran. Aber sie sind sicher gute fünf Meter dick. Und eins ist klar: Wer so etwas gebaut hat, wollte damit etwas sehr Wertvolles schützen.«
»Vielleicht ja das eigene Leben«, murmelte David nachdenklich. »Ein so gewaltiger Bau zeugt von einer ebensogroßen Angst.«
»Wie ich schon sagte: Dahinter liegt ein Schatz«, erklärte Lazo stur und klopfte mit dem Zeigefinger ungestüm auf das Foto.
»Woher wollen Sie das wissen? Sie konnten doch nichts sehen.«
»Weil hinter diesen Mauern der Königspalast liegt. Ich habe mein halbes Leben danach gesucht.«
David stutzte einen Augenblick lang. Der Königspalast? Was faselte der Mann da? War er komplett verrückt? Der Kryptologe riß sich zusammen. Er durfte diesen Unsinn nicht in Frage stellen, schließlich wollte er von Lazo erfahren, was dieser über Saras Verschwinden wußte.
»Und wo befindet sich dieser Königspalast?«
»Unter der Plaza Mayor.«
»Aber dort kann man doch nicht hinunter.«
»Die Leute erzählen sich, daß es unter Antigua ein richtiges Labyrinth aus Gängen gibt, die viele, viele Kilometer lang sind. Und daß etliche Eingänge existieren, sogar außerhalb der Stadt.«
»Aha. Und wo sind Sie hinabgestiegen?«
»Sie werden verstehen, daß ich Ihnen das nicht sagen kann«, |352| antwortete Lazo mit einem mißtrauischen Lachen. »Aber ich weiß, daß Sara
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