Kryptum
und ich kletterten daraufhin eine Böschung hinauf, die so steil war, daß wir ganz außer Atem gerieten. Auf der Anhöhe blieb er vor einem mit Steinen eingefriedeten Futteracker stehen, von dem aus man einen herrlichen Blick auf den Escorial hatte.
›Hier seht Ihr das Quartier, das man mir für die Dauer der Bauarbeiten zur Verfügung gestellt hat. Schlicht, aber meinen Ansprüchen genügend.‹
Das Haus war größer, als es von außen wirkte, und trotz der behelfsmäßigen Einrichtung sehr gemütlich. Es gab eine Bank aus Nußbaumholz und eine Anrichte aus Pinienholz, mehrere Truhen zum Aufbewahren von Büchern und einen Tisch, auf dem eine lederne Schreibmappe mit goldenen Beschlägen und eine Sandelholzschatulle mit schwarzen Intarsien lagen.
Herrera verbrachte dort sicher viel Zeit. Überall im Raum waren Zeichnungen und Pläne des Klosters verstreut, und einige davon hatte er an den unterschiedlichsten Instrumenten befestigt. Es waren dies vor allem astronomische Gerätschaften, was mich bei einem Architekten überraschte: ein Deklinatorium, eine Sternkarte, mehrere Quadranten, Erdscheiben, Himmelskugeln und Astrolabien. Ich fragte mich, was für ein Kloster das werden sollte, für dessen Bau man all diese Apparate brauchte. Auch die Diagramme und drehbaren Scheiben entgingen mir nicht, die in Ramon Llulls ›Ars Magna‹ zu finden waren, von dem Herrera, wie er mir gestand, fast hundert Schriften gesammelt hatte.
Der Architekt legte gerade einen Laib Brot und ein paar Würste auf den Tisch, da klopfte es an der Tür. Bevor er öffnete, machte er mir ein Zeichen, ich solle mich in die Dunkelheit der Schlafkammer zurückziehen. Von dort aus konnte ich einen Mann erkennen, der von zwei Soldaten begleitet wurde. Es war der oberste Vogt.
›Heute abend erwartet man den König. Im Kloster sind überall Wachen aufgestellt worden, die Schenken haben wir durchsucht, und jetzt erfassen wir im Dorf alle Fremden. Habt Ihr jemanden zu melden?‹
|384| ›Nein, niemanden‹, antwortete Herrera.
›Dann gehabt Euch wohl‹, verabschiedete sich der Vogt.
Daraufhin verriegelte Herrera wieder die Tür und rief mich zu sich.
›Ihr könnt herauskommen, Raimundo. Setzt Euch an den Tisch und stärkt Euch erst einmal.‹
Er holte einen Krug Wein, um die feine Wurst damit hinunterzuspülen. Nach dem Essen zeigte er mir die Pläne des Klosters, mit all den Veränderungen, die er im Laufe der Zeit vorgenommen hatte. Danach unternahm ich einen erneuten Versuch, etwas über die Explosion zu erfahren, aber er tat so, als messe er dem keinerlei Bedeutung bei, und lenkte das Gespräch auf die Pergamente in der Bibliothek. Er wollte meine Meinung dazu hören, doch als ich sah, daß er nicht damit herausrücken wollte, was es mit dem Vorfall in der Apotheke auf sich hatte, war auch ich nicht bereit, ihm zu berichten, was ich über Rubén Cansinos und die Geschworenen wußte. Und schon gar nicht, daß ich den Morisken Alonso del Castillo kannte.
›Nach dem, was ich gelesen habe, kann ich Euch nur wenig sagen‹, antwortete ich deshalb. ›Wo haben sie diese Seiten der
Sarazenischen Chronik
wohl entdeckt?‹
›Das weiß ich nicht genau. Der oberste Spion des Königs, Artal de Mendoza, hat sie vor kurzem mitgebracht. Das Dokument muß sehr wichtig sein, sonst hätten sie Alonso del Castillo nicht kommen lassen. Er ist der königliche Übersetzer für das Arabische und der Sekretär für die Angelegenheiten des Königs in Marokko und Afrika.‹
Noch einer, dessen Geschick sich zum Guten gewendet hat, dachte ich bei mir und erinnerte mich einmal mehr an den schüchternen jungen Mann, der mir einst die arabischen Inschriften in der Alhambra gezeigt hatte.
In diesem Moment klopfte es erneut an die Tür. Ich bemerkte den Schrecken im Gesicht des Architekten, der mir wieder ein Zeichen machte, mich zu verbergen. Er ging zur Tür, öffnete, und dann vernahm ich aus meinem Versteck eine schrille Stimme.
|385| ›Einen wunderschönen guten Abend, Don Juan! Seine Majestät ist gerade eingetroffen, aber er ist erschöpft und hat beschlossen, sich gleich zur Ruhe zu begeben. Da habe ich mir gedacht, ich überbringe Herrera diese Nachricht persönlich, damit er nicht weiter auf glühenden Kohlen sitzt.‹
›Ich danke Euch vielmals, Don Luis. Kommt herein, ich bitte Euch. Habt Ihr vor, hier zu übernachten?‹ hörte ich Herrera fragen.
›Oh, nein, man hat mir für diese Nacht schon ein Quartier zugewiesen‹, erwiderte der
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