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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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zurückkehrten.
    Turriano und ich waren uns da nicht so sicher, daß der Unfall tatsächlich glimpflich verlaufen war, vor allem nach dem, was wir tags zuvor von den Einheimischen in der Schenke gehört hatten. Von dort, wo wir standen, war es jedoch schwer festzustellen, was in dem geräumigen Untergeschoß des Apothekenturms vor sich ging.
    ›Da unten befindet sich einer der neuartigsten Destillierkolben, die je gebaut worden sind‹, erklärte mir Turriano. ›Dort wird das meiste Wasser verbraucht. Tag und Nacht versucht man, die natürlichen Gemische zu trennen. Und es gibt sehr gefährliche Zusammensetzungen.‹
    |381| Nach einer Weile kam Herrera mit einem ganz verstörten, rußgeschwärzten Mann heraus, den er zwei Hellebardieren anvertraute, damit sie ihn in die Krankenstube brachten. Zwei andere blieben auf Anweisung des Architekten als Wachen am Eingang zurück.
    ›Das kommt mir hier eher wie ein Schlachtfeld in Flandern vor als wie ein Hort der inneren Sammlung‹, meinte Turriano, als er ihre schwere Bewaffnung sah.
    ›Sie stehen hier nicht zum Spaß‹, schnitt ihm der Architekt mit einer gewissen Schärfe das Wort ab, ›die Steinmetze sind noch ganz aufgebracht. Vor ein paar Tagen kam es hier zu einem Aufruhr.‹
    Als wir kurz darauf unter einer Brüstung hergingen, streifte mich etwas, das an einem Strick herabhing. Mit einer unwilligen Handbewegung schob ich es beiseite, damit es mir nicht ins Gesicht schlug, und blickte nach oben, wo sich meinen Augen ein makabres Schauspiel bot: Von einem Baugerüst hingen einige Knochen herab, die im Wind hin und her schwangen.
    ›Was ist denn das?‹ fragte ich entsetzt.
    ›Die letzte Heldentat unseres Vorarbeiters, Ehrwürden Antonio de Villacastín‹, erläuterte Turriano. ›Erinnert Ihr Euch an den schwarzen Hund vom Escorial, der den Höllenschlund bewachen soll?‹
    Mir kam das Gespräch wieder in den Sinn, das wir in der Schenke mitgehört hatten, und ich nickte.
    ›Nun‹, fuhr der Baumeister fort, ›das Jaulen und die nächtlichen Erscheinungen haben unter den Handwerkern für so viel Grauen gesorgt, daß er beschloß, etwas dagegen zu unternehmen. Dieser Mönch ist ein Mann von Charakter und imstande, auf das Baugerüst zu klettern und selbst Hand anzulegen, um einen schief gesetzten Stein geradezurücken oder einen Streit zu beenden, wenn nötig sogar mit Gewalt. Jedenfalls hat er sich mehrere Nächte lang auf die Lauer gelegt und schließlich einen Hund gefangen, der hier herumstreunte. Dann hat er ihn an dieser Brüstung aufgehängt, damit ihn alle |382| gleich morgens auf dem Weg zur Messe sehen können. Die Knochen sind alles, was von ihm noch übriggeblieben ist.‹
    Ich hatte mich noch nicht von diesem Schreck erholt, da packte mich Herrera auch schon beim Arm, damit ich nicht in den Aschehaufen vor den Stallungen des Königs trat.
    ›Vorsicht, Raimundo, tretet da nicht hinein. Das sind die sterblichen Überreste eines Menschen. Erst kürzlich hat man hier für jemanden einen Scheiterhaufen errichtet.‹
    ›Man hat ihn verbrannt? Wie ist das möglich?‹
    ›Ein vierundzwanzigjähriger Bursche‹, erklärte Turriano. ›Der Sohn des Bäckers von Königin Doña Ana.‹
    ›Weil er ein Ketzer war?‹
    ›Nein, er hatte sich mit zwei zehnjährigen Jungen des schändlichen Verbrechens schuldig gemacht. Man erwischte sie in flagranti, im Gestrüpp unter der königlichen Küche. Er beichtete und ging zur Kommunion, er flehte um sein Leben, aber vergeblich.‹
    ›Allmächtiger Gott!‹
    ›Nicht alles ist Barbarei‹, versuchte Herrera mich zu beschwichtigen. ›Das Leben dieser Leute ist durch den Bau des Klosters sehr viel besser geworden, glaubt mir. Seht Euch das Dorf an. Als wir hierherkamen, hatte keine der Hütten Fenster oder einen Schornstein. Es gab nur eine Tür, durch die Mensch und Tier ein und aus gingen, Licht ins Innere fiel und der Rauch abzog. Jetzt arbeiten hier die besten Handwerker ganz Spaniens, ja sogar halb Europas.‹
    ›Und was ist im Apothekenturm passiert?‹ wagte ich endlich zu fragen.
    ›Das ist nicht der Ort, um darüber zu sprechen‹, erwiderte der Architekt. ›Ich habe hier ganz in der Nähe ein kleines Haus, damit ich mich besser um den Bau kümmern kann. Warum begleitet Ihr mich nicht?‹
    Turriano begriff, daß er dabei nicht erwünscht war, und verabschiedete sich unter dem Vorwand, das Tageslicht ausnutzen zu müssen, um mit seinen Arbeiten zur Eindämmung des Wassers fortzufahren.
    |383| Herrera

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