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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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Neuankömmling. ›Ich wollte Euch nur begrüßen und muß leider auch schon wieder gehen.‹
    Herrera verabschiedete ihn. Er schloß die Tür, kam zu mir zurück und erklärte:
    ›Das war Don Luis, der Hofnarr. Wir nennen ihn alle
Borrasquilla
, weil er so kleinwüchsig ist und soviel Temperament wie ein jäher Windstoß hat. Er ist ein guter Freund von mir. Dieses Haus hier gehört ihm, und er überläßt es mir, wenn ich im Escorial zu tun habe.‹
    ›Ein Hofnarr, der ein eigenes Haus hat?‹ Ich war verblüfft.
    ›Und einen eigenen Diener. Zudem besitzt er eine Mühle mitsamt Mühlstein und Stauwehr und darüber hinaus mehrere Äcker, Weiden und Gemüsegärten, ganz zu schweigen von einigen Grundstücken in Madrid. Und er genießt beim König hohes Ansehen … Und natürlich auch bei den Frauen‹, erklärte Herrera lachend.
    ›Wie das?‹
    ›Ihr müßtet ihn einmal sehen. Zwar ist er von zwergenhaftem Wuchs, ansonsten aber gutgebaut. Und er weiß sowohl derbe Späße zu machen wie auch geistreiche Geschichten zu erzählen. Er ist ein großer Plauderer und sehr galant gegenüber dem schönen Geschlecht. So sehr, daß man ihn einmal aus der Gemächern des königlichen Haushofmeisters retten mußte, einem schon etwas betagten Herrn melancholischen Gemüts, den die Eifersucht gepackt hatte wegen der vielen Geschenke, die seine Gemahlin Borrasquilla zuteil werden ließ.‹
    |386| ›Kaum zu glauben!‹
    ›So ist es aber. Außerdem hat sich Borrasquilla mit der Arkebuse ganz wacker gehalten. Und er ist ein großartiger Jäger, denn dank seiner Kleinwüchsigkeit kann er dem Wild im Gestrüpp mühelos auflauern. Vom Stierkampf versteht er ebenfalls etwas. Und auf seinem kleinen Pferd gibt er auch eine gute Figur ab; obgleich Pferd und Reiter zusammengenommen kaum ein paar Ellen messen, rufen sie doch in jedem, der sie sieht, große Bewunderung hervor, so gewandt und flink sind sie.‹
    Der Besuch des Hofnarren schien seine Laune verbessert zu haben. Vielleicht war es aber auch die Nachricht, daß er dem König an diesem Tag nicht mehr seine Aufwartung machen mußte. Er holte zwei Äpfel und bot mir einen davon an.
    ›Laßt uns nach draußen gehen‹, fügte er hinzu. ›Es wird schon dunkel.‹
    Die letzten Gewitterstürme hatten die sowieso schon saubere Luft der Sierra Guadarrama, über der soeben die große Mondscheibe aufging, noch reiner gemacht. Die ersten Sterne blitzten auf. Neben einem vom Regen angeschwollenen Bach setzten wir uns ins Gras. In dieser kühlen Vollmondnacht konnte man dem plätschernden Wasser sehr lange mit den Augen folgen und zusehen, wie sich das silbrige Band den Hang hinunter in Richtung des Klosters verlor, das unten in der Ebene ruhte, inmitten tiefer Stille.
    Ich spürte, daß der Architekt etwas im Schilde führte, während er ein letztes Mal von seinem Apfel abbiß. Dann preßte er entschlossen die Kiefer zusammen, warf das Kerngehäuse in den Bach und murmelte:
    ›Es ist unsere letzte Chance. Laßt uns noch einmal in die Bibliothek gehen.‹
    In Wahrheit wünschte ich mir nichts sehnlicher, dennoch, ich kann nicht sagen, warum, fragte ich ihn:
    ›Erscheint Euch das nicht sehr riskant nach dem heutigen Zusammenstoß mit Montano?‹
    ›Das ist es durchaus‹, gab Herrera zu. ›Aber heute wird die |387| letzte Nacht sein, in der die
Sarazenische Chronik
für uns noch zugänglich ist. Morgen wird man die Pergamente an einem sicheren Ort verwahren.‹
    ›Und Juanelo?‹ fragte ich.
    ›Ich möchte ihn da lieber nicht mit hineinziehen. Er kommt mir in letzter Zeit etwas seltsam vor. Außerdem hat er schon genug damit getan, mir eine Kopie des Schlüssels für die Bibliothek anzufertigen.‹
    Er ging ins Haus und kam mit zwei Kerzen zurück. Er gab mir eine davon und forderte mich mit einer Handbewegung auf, ihm zu folgen. Wir stiegen zur Baustelle hinab. Im Licht des Vollmonds konnten wir den Weg gut erkennen. Wir mieden die Lagerfeuer, um die sich die Arbeiter scharten und ihr Abendessen verspeisten, machten einen Bogen um ihre Hütten, schlichen hinter einer Mauer an einem der Wachtposten vorbei und kamen schließlich zu einer kleinen Pforte, durch die wir zum bereits fertiggestellten Teil des Klosters gelangten, den ich am Nachmittag schon gesehen hatte. Dort bewegte sich der Architekt sicher durch das Labyrinth aus Korridoren, das er selbst entworfen hatte, so daß wir nicht lange brauchten, bis wir vor dem Saal standen, in dem man die Bibliothek eingerichtet

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