Kryptum
Castillo gerne eine Frage stellen.‹
Ich wartete, bis der König mir mit einem Wink seine Erlaubnis erteilte. Und obgleich seine Miene ungerührt blieb, sah ich in seinen Augen doch die Neugier blitzen.
›Don Alonso‹, wandte ich mich nun an den Morisken, ›befand sich in diesen Bänden, von denen Ihr spracht, irgendein Pergament?‹
›Ich verstehe Eure Frage nicht‹, antwortete er. ›Ich habe Seiner Majestät doch bereits erklärt, daß der Einband, auf dem
Sarazenische Chronik
geschrieben steht, aus Velin ist.‹
›Das meine ich nicht, ich meine einen Pergamentkeil, auf dem wie mit Feuer etwas eingebrannt ist, Linien in der Art eines Labyrinths.‹
›Derlei habe ich nicht gefunden.‹
Diese Eröffnung verlieh mir Autorität, denn alle begriffen, daß ich um ein Geheimnis wußte, das nur wenigen bekannt war. Man betrachtete mich jedoch auch voller Argwohn. Da ich ihnen nichts offenbaren wollte, was sie nicht bereits wußten – und erst recht nicht, daß elf dieser Keile sich in meinem Besitz befanden –, mußte ich ihnen eine glaubwürdige Geschichte auftischen.
›Schade. In Jerusalem, wo ich gerade herkomme, hat man mir von diesem Pergament erzählt. Und auch, daß das Labyrinth, das darauf eingebrannt sein soll, unter jenem Heiligtum liegen soll, wo einst der Tempel Salomos stand. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.‹
›Aber al-Haram ist doch ein den Christen verbotener Ort‹, wandte Alonso del Castillo entrüstet ein.
›Ja, ich weiß‹, gab ich zu. ›Doch meine Neugier war stärker. Ich gab mich als gebürtiger Konstantinopler aus, wohin man mich Jahre zuvor als Gefangener verschleppt hatte. So ließ man mich al-Haram und den Felsendom betreten.‹
›Gibt es etwa noch Überreste von Salomos Tempel?‹ fragte Philipp II. überrascht, dessen Interesse ich an dem direkten Blick ablesen konnte, den er mir zuwarf.
|449| ›Nein, Eure Majestät, höchstens noch ein paar Gesteinsbrocken seiner Fundamente. Aber unter dem Felsen liegt ein Labyrinth, das die Muslime wie einen Schatz verehren. Es befindet sich unter einer Steinplatte, auf der der Name des Kalifen al-Walid I. eingemeißelt ist, dem der maurische Heerführer Musa ibn Nusayr direkt unterstand, der nach seinem Sieg über den letzten Gotenkönig, Don Rodrigo, nahezu ganz Spanien eroberte. Daher meine Frage nach dem Pergament in der
Sarazenischen Chronik
.‹
Der König beugte sich nun zu Artal und raunte ihm etwas ins Ohr, worauf der oberste Spion in seinen Papieren blätterte und ihm dann zunickte. Philipp II. wandte sich wieder an mich.
›Wir haben gehört, Ihr sprecht perfekt Arabisch und Türkisch, neben einigen anderen Sprachen.‹
›So ist es, Eure Majestät. Ich muß hinzufügen, daß ich, als ich noch ein Gefangener in Konstantinopel war, Euch einmal als königlicher Kurier gedient habe. Euer Hof befand sich damals noch in Brüssel.‹
›Auch das wissen wir. Und wir wünschen, daß Ihr noch einmal für uns tätig werdet.‹
Ich nickte, denn ich sah die Gelegenheit gekommen, die Protektion und Gunst des Königs wiederzuerlangen, die ich durch den Tod meiner Familie verloren hatte. Und Rebecca und du, ihr würdet gleichfalls unter seinem Schutz stehen.
Philipp II. sagte daraufhin:
›Ihr werdet fortan Artal de Mendozas Weisungen befolgen. Als erstes werdet Ihr nach Fes aufbrechen, woher diese Bände stammen. Eure Aufgabe ist es, die noch fehlenden Seiten der
Sarazenischen Chronik
zu beschaffen, indem Ihr nach den restlichen Bänden sucht, ihre Einbände löst und genau prüft, ob die Pergamente dazwischen verborgen sind. Wir müssen wissen, was nach der Eroberung Antiguas mit dem Schatz geschehen ist und wo er sich jetzt befindet. Erst dann kann ich Euch von den schweren Anschuldigungen und Vergehen freisprechen, deren man Euch bezichtigt.‹
|450| Ich war sprachlos. Jeden anderen Auftrag hätte ich erwartet, nur nicht, daß man mir erneut die Dienste und die Geschicklichkeit eines Kuriers oder Geheimagenten abverlangte. Und zu allem Unglück hatte der König mich auch noch meinem schlimmsten Feind unterstellt, jenem skrupellosen Bluthund, der meine ganze Familie ausgelöscht hatte! Ich spielte kurz mit dem Gedanken, ihn gleich an Ort und Stelle zu denunzieren und sein falsches Spiel aufzudecken. Aber warum sollte der König einem mit einer Jüdin verheirateten Renegaten glauben, der einmal den Türken gedient hatte? Und nicht irgendeinem Türken, sondern seinem erbittertsten Widersacher, Ali Fartax, dem
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