Kryptum
geradeheraus.
Durch die Augenschlitze seiner Maske blickt ihn sein Kerkermeister überrascht an.
»Was wißt Ihr denn schon!« erwidert er herablassend.
»Mehr, als ihr denkt«, entgegnet Randa und steigt die Treppe hinauf.
Einer der Soldaten tritt vor, zieht seinen Degen und setzt dem |455| Gefangenen die Spitze an die Brust. Doch Randa verzieht nicht einmal die Miene und geht weiter auf Artal zu.
»Laßt mich Eure Hand sehen«, bittet er.
Der Soldat sieht den obersten Spion an, er wartet auf seinen Befehl. Artal zögert. Aber er will nicht als Feigling dastehen. Er befiehlt dem Soldaten, die Waffe zu senken, und zieht seinen Lederhandschuh aus.
»Es liegt an der Kälte, da zieht sich das Metall zusammen«, erklärt Artal. »Nur, jetzt lebt dieser verdammte Juanelo nicht mehr. Er war der einzige, der sie reparieren konnte.«
»Ich kann das auch.«
»Ein Schwätzer wie Ihr?« brummt er mit kratziger Stimme, die voller Mißtrauen ist.
Als einzige Antwort streckt der Gefangene die Hand aus in Erwartung, daß der Kerkermeister ihm seine falsche Hand anvertraut. Nach einem Augenblick des Zauderns tut er es schließlich. Er streckt Raimundo den rechten Arm hin. Behutsam löst Randa mit einer einfachen Drehung die silberne Hand und sieht sich den Mechanismus an. Während Artal sich den schmerzenden, vom Zangengriff geröteten Armstumpf reibt, überprüft Raimundo die bewegliche Verbindung der Haken. Er öffnet und schließt sie mehrmals, um ihren Mechanismus zu begreifen, und ohne daß seine Wächter es sehen können, reguliert er die Hemmung, die den Druck auf den Stumpf verringert. Dann gibt er die Hand ihrem Besitzer zurück.
»Versucht es jetzt einmal«, fordert er ihn auf.
Artal de Mendoza folgt seinen Anweisungen, wie er die Hand wieder an die richtige Stelle zu bringen hat. Dann nickt er beifällig. Erleichterung zeigt sich auf seinem Gesicht. Nicht jedoch Dankbarkeit. Er dreht sich um und stürmt, gefolgt von seinen Soldaten, hinaus. Während er die Tür hinter sich zuzieht, blitzt in seinen Zügen Argwohn auf.
|456| 8 Der Grundstein
Durch die abgedunkelte Scheibe des Kleintransporters zeigte James Minspert auf Juan Ramírez de Maliaño, Rachel Toledano und David Calderón. Ohne zu ahnen, daß sie beobachtet wurden, betrachteten der Architekt und seine beiden Begleiter gerade die abweisende Fassade des Escorial, dieses größten Renaissancebaus der Welt, der in der Abendsonne vor ihnen lag. Das Fahrzeug, mit dem Minspert und seine drei Komplizen ihnen gefolgt waren, parkte in etwa fünfzig Meter Entfernung.
Minspert drehte sich zu dem Dolmetscher um, der im hinteren Teil des Wagens saß.
»Ist alles vorbereitet?«
»Ich bin soweit, Mr. Minspert.«
Der muskelbepackte Agent hatte die Monitore eingeschaltet und prüfte jetzt Bild und Ton. Gemächlich kaute er Kaugummi, wobei sich sein kräftiger, eckiger Kiefer genauso methodisch hob und senkte wie seine Hände an den Reglern drehten. Minspert ließ sich neben ihm nieder und setzte sich die Kopfhörer auf, die ihm der Techniker reichte. Dann rückte er das Mikrophon zurecht.
»Ziel ein bißchen mehr nach links und sag etwas«, befahl er |457| dem Rothaarigen auf dem Beifahrersitz. »Jetzt … Gut, ich empfange Bild und Ton … Hörst du mich über den Knopf im Ohr?«
»Ja, Mr. Minspert.«
Er begutachtete die Verkleidung seines Agenten, der sich mit Turnschuhen, kurzer Hose und Baseballkappe als Tourist getarnt hatte. Als sein Blick auf die Fotografenweste fiel, verzog er mißbilligend das Gesicht.
»Du hättest ruhig etwas Unauffälligeres anziehen können. Aber gut, so kannst du die Videokamera offen mit dir herumtragen, das gibt dir größere Bewegungsfreiheit. Und jetzt sieh dort hinüber.« Minspert zeigte durch die verspiegelten Scheiben des Lieferwagens auf den Platz vor der Klosterresidenz. »Präg dir die drei gut ein.«
Maliaño und seine beiden Begleiter befanden sich schon auf dem Weg zum Haupteingang. Soeben waren sie vor dem Turm des Seminars an der nordöstlichen Ecke des Gebäudes stehengeblieben, wo der Architekt David und Rachel etwas zu erklären schien. Mit seinem Stock deutete Maliaño auf das Gebäude.
Im Inneren des Lieferwagens hörte Minspert derweil den Anweisungen zu, die sein hagerer, schwarzgekleideter Gefährte dem rothaarigen Agenten gab.
»Siehst du den Alten dort mit dem weißen Bart?« fragte er. »Er kennt den Escorial wie seine Westentasche. Du nicht. Das ist dein erstes Problem. Zweitens: Er hat die
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