Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
Vom Netzwerk:
scheute, offen mit mir zu sprechen. Irgend etwas Schwerwiegendes mußte ihn zutiefst beunruhigen.
    Zwei Tage später machte er sich bereit, mich zu dem Bankett zu begleiten. Obgleich ich eigentlich wieder wohlauf war, bestand der Kaffeehändler darauf, eine Sänfte zu nehmen. Zuvor zog er mich jedoch noch beiseite und drückte mir ein goldenes Kästchen in die Hand. Dann sah er mich an und sagte mit großem Nachdruck:
    ›Achtet jetzt genau auf das, was ich Euch zu sagen habe. Merkt Euch bitte dieses Zeichen.‹ Und er fuhr sich mit zwei Fingern der rechten Hand schnell über die Nasenspitze, so als verscheuche er eine Fliege. ›Wenn ich Euch irgendwann im Laufe des Abends ansehe und diese Geste mache, dann behauptet, daß Ihr Euch wieder unpäßlich fühlt, weshalb Ihr kurz |560| austreten müßtet. Sobald Ihr allein seid, schluckt bitte den Inhalt dieses Kästchens und wartet, bis es seine Wirkung tut.‹
    ›Aber …‹
    ›Kein Aber! Vertraut mir. Falls es dazu kommt, werde ich es Euch genauer erklären. Ihr habt mein Wort. Wenn ich Euch aber kein Zeichen mache, gebt Ihr mir das Kästchen, so wie es ist, wieder zurück. Und wir reden nicht mehr darüber.‹
    Großscherif Omar erwies sich als ein sehr liebenswürdiger und kultivierter Gastgeber. Sein Verhältnis zu Sidi Bey schien mir zudem ganz herzlich zu sein, weshalb ich die Bedenken des Kaffeehändlers nicht recht verstand. Mir verkündete er, daß er sich von meinem Besuch sehr geehrt fühle, und erkundigte sich auch gleich nach meinem Befinden und pries meine tiefe Frömmigkeit, die mich trotz meiner schweren Krankheit gleich nach meiner Ankunft dazu getrieben habe, meinen Pflichten als gläubiger Moslem nachzukommen. Kurzum, es kam mir nicht so schwierig vor, von ihm die Erlaubnis zu erhalten, einen Blick in Cansinos’ Kodizes zu werfen. Und sicher würde er mir auch gestatten, der Reinigungszeremonie der Kaaba beizuwohnen. Etwas anderes wäre es natürlich, in den Würfel hineinzugelangen.
    Doch einmal mehr sollte ich mich täuschen.
    Denn der Großscherif war ein sehr gerissener Mann. Während des ganzen Banketts löcherte er mich mit Fragen, und das auf so beiläufige und raffinierte Art und Weise, daß es in keinem Augenblick wie ein Verhör wirkte, wobei er noch um einiges geschickter vorging als der unerbittliche Scheich in Jerusalem. Dennoch blieb mir seine Wißbegierde nicht verborgen, denn er beobachtete genau, wie ich auf jede einzelne seiner Fragen reagierte, und in seinen Augen schien immer wieder ein mißtrauisches Funkeln auf. Er fragte mich, woher ich stamme, was ich auf meinen Reisen schon alles gesehen habe und was für Neuigkeiten ich ihm von jenen Reichen erzählen könne … Nach über einer Stunde schien er sein Frageund-Antwort-Spiel leid zu sein, und er machte mir ein erstes ernstgemeintes Kompliment.
    |561| ›Ich muß schon sagen, Ihr sprecht sehr gut Arabisch.‹
    Diese Gelegenheit durfte ich nicht ungenutzt lassen, um ihm mein Interesse für die Bücher zu bekunden. Zwar traute ich mich noch nicht, direkt nach Cansinos’ Kodizes zu fragen, aber als er mich mit soviel Leidenschaft über die Buchkunst und Kalligraphie sprechen hörte, gab Omar unbewußt selbst das Stichwort, wie ich zu meinem Ziel gelangen konnte.
    ›Ihr solltet meinen Kalligraphen im Heiligtum aufsuchen.‹
    Erst dann konnte ich das Essen etwas genießen, wobei ich Sidi Bey, der mir gegenübersaß, nicht aus den Augen ließ, für den Fall, daß er das vereinbarte Zeichen machen sollte. Er hatte bis dahin ganz ruhig und arglos gewirkt, doch plötzlich runzelte er nahezu unmerklich die Stirn und warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu. Ich ließ meine Augen über die vielen Tischgäste schweifen, konnte aber nichts Auffälliges entdecken und sah Sidi Bey deshalb fragend an. Da machte er mich mit einer leichten Bewegung der Augen auf jemanden aufmerksam, der gerade den Saal betreten hatte und auf uns zukam. Es war ein zerbrechlich wirkender, junger Mann von vornehmem, fast könnte man sagen engelhaftem Aussehen, so ebenmäßig waren seine Züge.
    Er trat jetzt an die Stirnseite der Tafel und erwies dem Großscherif seine Ehrerbietung, der ihn herzlich willkommen hieß. Die Begrüßung zwischen dem Neuankömmling und Sidi Bey war hingegen ziemlich kalt und distanziert. Omar erklärte ihm, wer ich war, bevor er mir ihn vorstellte:
    ›Dieser junge Mann hier ist Nabik. Er ist der Hüter des Zamzam.‹
    Da glaubte ich zu verstehen, warum Sidi Bey mich zuvor so

Weitere Kostenlose Bücher