Kryptum
eindringlich angeblickt hatte. Das Wasser aus dem Brunnen Zamzam war das wichtigste Element bei der Reinigungszeremonie der Kaaba. Zweifellos hatte der Großscherif den jungen Mann zum Abschluß des Banketts einbestellt, um seine Entscheidung zu fällen.
›Können die beiden der Reinigung beiwohnen?‹ fragte der Großscherif nun, wobei er auf Sidi Bey und mich zeigte.
|562| ›Es wäre eine Ehre‹, antwortete der Jüngling und verneigte sich ebenso höflich wie anmutig.
Aber Nabik ging noch nicht, wie ich eigentlich gedacht hatte, sondern heftete seine Augen auf Sidi Bey und stellte dem Großscherif noch eine Frage.
›Habt Ihr
jetzt
noch einen Wunsch, Herr?‹
Ich sah, wie Sidi Beys Muskeln sich spannten und er vor mühsam unterdrücktem Zorn rot anlief, während er seine rechte Hand langsam zur Nase hob. Doch in diesem Moment hörte ich, wie Omar dem jungen Nabik mit klarer Stimme antwortete.
›Nein,
jetzt
habe ich keinen Wunsch.‹
Sidi Beys rechte Hand griff nach der Serviette, ohne die Nasenspitze gestreift zu haben, und der Jüngling, der den Kaffeehändler die ganze Zeit spöttisch beobachtet hatte, besann sich wieder seiner Umgangsformen und verabschiedete sich.
Nicht lange darauf taten wir es ihm nach. Sobald wir zu Hause und allein waren, wollte ich Sidi Bey das goldene Kästchen zurückgeben, doch er hob abwehrend die Hand.
›Behaltet es‹, sagte er, ›Ihr werdet es noch brauchen.‹
Da konnte ich mich nicht länger beherrschen und flehte ihn an:
›In Allahs Namen, könnt Ihr mir bitte erklären, was heute abend geschehen ist?‹
›Der Großscherif hat Euch gestattet, in der Großen Moschee seinen Kalligraphen aufzusuchen. Und er hat Euch auserwählt, die Reinigungszeremonie mitzuerleben, so daß Ihr vielleicht die Kaaba betreten könnt. Scheint Euch das etwa wenig?‹
›Nein, nein. Aber wozu die ganzen Vorsichtsmaßnahmen? Warum habt Ihr dieses Zeichen mit mir vereinbart? Wozu dieses Kästchen? Was enthält es? Und was ist zwischen Euch und diesem Nabik vorgefallen?‹
›Ich hatte doch gesagt, keine Fragen. Glaubt mir, Randa, es ist besser, Ihr haltet Euch da raus. Je weniger Ihr wißt, desto besser für Euch.‹
|563| ›Sidi Bey, ich bin Euch sehr dankbar für alles, was Ihr für mich getan habt. Nie werde ich Eure Großzügigkeit und Freundschaft genug würdigen können. Aber ich kann nicht länger unter Eurem Dach weilen, wenn Ihr mir nicht erlaubt, Euch zur Seite zu stehen, und mir verheimlicht, was los ist.‹
Er zögerte lange, bevor er sich zu einer Antwort entschloß.
›In Ordnung‹, gab er bei. ›Vielleicht ist es auch besser so. Ihr werdet es verstehen, wenn ich Euch sage, wer dieser engelhaft aussehende Jüngling in Wirklichkeit ist.‹
›Ist er denn nicht der Hüter des Zamzam?‹
›Doch, doch, das ist er. Seine eigentliche Obliegenheit aber ist weitaus bedeutsamer und darf niemals ans Licht kommen. Wenn irgend jemand erfährt, daß Ihr davon wißt, werdet Ihr diese Stadt nicht lebend verlassen.‹
›
Was
ist er?‹ bedrängte ich ihn.
›Schwört zuerst, daß es unter uns bleibt.‹
›Ihr habt mein Wort.‹
›Er ist der Giftmischer des Großscherifs.‹
›Was … was sagt Ihr da?‹ stammelte ich ungläubig.
›Ich weiß, das erscheint ziemlich abwegig, aber wenn Ihr einmal in Ruhe darüber nachdenkt, dann werdet Ihr sehen, wie einfach es für ihn ist, jemanden ins Jenseits zu befördern, ohne daß man ihm auf die Schliche kommt. Nabik muß das Gift dazu nur in einem Becher Wasser aus dem Zamzam auflösen. Wasser von diesem Brunnen zu trinken ist ein unabdingbarer Bestandteil des Pilgerrituals; keiner kann es zurückweisen, das würde als Blasphemie gelten. Wenn jemand dieses Wasser nicht hervorragend findet, ist das ein untrügliches Zeichen dafür, daß es sich um einen Ungläubigen handelt. Kommt eine hochgestellte Persönlichkeit in die Heilige Stadt, schreibt der Hüter des Zamzam den Namen in ein großes Buch, und ein Diener kümmert sich dann darum, diesem Menschen jeden Tag ein Glas zu bringen. Und da früher oder später alle wichtigen Personen nach Mekka kommen, ist es für Großscherif Omar ein leichtes, mit Hilfe seines Brunnenhüters diejenigen loszuwerden, die ihm bei der Verwirklichung seiner |564| Pläne im Weg sind. Und nebenbei eben auch die Widersacher seiner Vorgesetzten, Freunde und Verbündeten aus Konstantinopel, Kairo und andernorts, die ihre Paschas, Minister und sonstigen Amtsträger, denen sie mißtrauen, gerne auf
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