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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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Pilgerfahrt schicken, kurzum, all die Leute, die sie nicht öffentlich hinzurichten wagen. Auf diese Weise können sie sich ihrer entledigen, ohne daß irgendein Verdacht auf sie fällt. Und der Großscherif erweist ihnen eine
Gefälligkeit
, für die er irgendwann dann eine Gegenleistung verlangen kann. Eine Hand wäscht die andere, Ihr versteht?‹
    ›Das Leben dieser Pilger liegt also in der Hand dieses Mannes. Und somit auch meins.‹
    ›Genauso ist es. Deshalb solltet Ihr dieses Kästchen bei Euch tragen.‹
    ›Und was ist da drin?‹
    ›Ein Brechmittel und ein Gegengift. Sobald Ihr die ersten Krankheitszeichen bemerkt, müßt Ihr es unverzüglich einnehmen. Zu meiner eigenen Sicherheit bitte ich Euch nur, dies so zu tun, daß man Euch dabei nicht sieht. Andernfalls bekäme ich mit diesem Mann nämlich wieder Schwierigkeiten.‹
    ›Ich vermute, Ihr meint damit Nabik, denn der Großscherif scheint Euch ja zu schätzen.‹
    ›Omar hat mir stets sein Wohlwollen bekundet. Aber es gefällt ihm ganz und gar nicht, daß ich mich in diese Dinge einmische.‹
    ›Habt Ihr das denn getan?‹
    ›Unwillentlich. In meinem Kaffeehaus werden auch Tees und Aufgüsse von allerlei Heilpflanzen gereicht;es hat manchmal etwas von einer Apotheke. Als Nabik damit begann, war seine Giftmischung noch nicht ausgereift, und so kam mehr als eines seiner Opfer dank meiner Hilfe mit dem Leben davon. Irgendwann fiel mir dann auf, daß sich die Krankheitszeichen wiederholten, und ich unterrichtete Omar von meinem Verdacht. Da erst ging mir auf, daß hinter allem der Großscherif steckte, denn er drohte mir offen, daß, wenn mir mein Leben lieb wäre, ich mich nie wieder zwischen Nabik und seine Opfer |565| stellen sollte, und zudem ließ er mich schwören, kein Wort darüber zu verlieren.‹
    ›Und deshalb wolltet Ihr nicht, daß ich zu diesem Bankett gehe.‹
    ›So ist es. Ich war mir nicht sicher, ob sie nicht versuchen würden, Euch zu beseitigen. Und offen gestanden weiß ich es immer noch nicht. Ich habe keine Ahnung, ob Euldj Alis Empfehlungsschreiben Protektion oder das Todesurteil für Euch bedeutet. Deshalb halte ich es für äußerst waghalsig, der Reinigungszeremonie beiwohnen zu wollen. Dort seid Ihr vollkommen in Nabiks Hand, und es wird kein Entrinnen geben. Die Fanatiker, an denen es nie fehlt, könnten Euch dort auf einen Wink dieses sanften Jünglings ein Ende bereiten. Er braucht dazu nicht einmal das Gift. Ich hoffe, Ihr macht ihm die Arbeit nicht durch irgendeinen Fehler leichter.‹
    ›Ihr werdet doch mit mir kommen und mir unauffällig beistehen?‹
    ›Alles andere wäre unverzeihlich. Aber vertraut nicht zu sehr auf mein Gegengift. Ich habe gehört, Nabik soll es gelungen sein,
drao
herzustellen.‹
    ›Was ist
drao
?‹
    ›Das tödlichste aller bekannten Gifte. Und zudem für einen Moslem das unwürdigste, denn es wirkt noch über den Tod hinaus.‹
    ›Wie das?‹
    ›Es enthält Schwein, wodurch einem der Weg ins Paradies verstellt ist. Man nimmt dazu eine frische Schweineleber und bedeckt sie mit einer bestimmten Menge an Babascoblättern, frischem menschlichen Fett, toten Distelfinken und dem Gift einer trächtigen Viper, denn während der Trächtigkeit ist ihr Gift wirksamer als sonst, die Natur hilft dieser Spezies so, ihre Nachkommenschaft zu schützen. Das alles wickelt man dann in ein mit Naturwachs bestrichenes Leinentuch und vergräbt es für zwanzig Tage in der Erde. Danach ist das, was sich nicht zersetzt hat, so giftig, daß schon eine bloße Berührung tödlich ist.‹
    |566| ›Und dieses Gegengift?‹
    ›Das Gegengift, das ich Euch gegeben habe, ist viel mehr wert als das Goldkästchen, in dem es sich befindet. Es ist Bezoarpulver. Es stammt allerdings nicht aus den Haarballen, die sich in den Mägen unserer arabischen Ziegen finden; nein, es ist noch viel kostbarer und wird ›Hirschträne‹ genannt. Es heißt, daß sich dieser Bezoar in den Tränenhöhlen besagter Tiere bildet, nachdem sie zur Stärkung Schlangen gefressen haben. Instinktiv steigen sie hinterher in einen Fluß, bis nur noch ihr Kopf herausragt, trinken aber keinen Tropfen Wasser, denn dann würden sie sofort sterben. So warten sie, bis ihnen ein Sekret aus den Augen läuft. Dann kehren sie in ihre Reviere zurück, wo diese
Träne
von der Größe einer Nuß so hart wie Stein wird.‹
    ›Und das glaubt Ihr?‹
    ›Ob ich es glaube oder nicht, tut hier nichts zur Sache; ich habe es jedenfalls ausprobiert, und es wirkt.

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