Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
Vom Netzwerk:
Ich habe die Pfote eines Hundes mit einer Nadel durchstochen, in die ich einen mit
drao
getränkten Faden gefädelt hatte. Dann wartete ich, bis die Vergiftungserscheinungen auftraten, gab ihm Wasser zu trinken, in dem ich dieses Pulver aufgelöst hatte, und das Tier kam schnell wieder zu Kräften. Es lebt immer noch.‹
    Zwei Tage später bereiteten wir uns auf die feierliche Reinigungszeremonie der Kaaba vor, nach der ihr die neue
Kiswa
übergeworfen werden sollte, die wir aus Kairo mitgebracht hatten. Zu diesem Zweck würde der Großscherif die Tür des Würfels aufschließen und zwei Gläubigen die ehrenvolle Aufgabe übertragen, ihm bei der Reinigung des höchsten Heiligtums zu helfen. Ich hoffte natürlich, Sidi Bey und ich würden die Auserwählten sein, schließlich hatten wir beide ja auch schon einige Stiche an dem Brokatstoff getan, wie ich dem Großscherif gegenüber beiläufig erwähnt hatte.
    Vom Morgengrauen an umringten Tausende von Gläubigen das Heiligtum, erfüllt von der Inbrunst ihres Glaubens. Als der Großscherif den Innenhof betrat, erhob sich ein so heftiger Tumult, daß ihm seine persönliche Wache, die an diesem besonderen Tag über dreißig Mann zählte, einen Weg bahnen |567| mußte. Von der Mitte aus unterstützten sie dabei die fünfzig mit Turbanen und Tuniken bekleideten Eunuchen, die die Kaaba bewachten und von ihren weißen Holzstöcken ohne Zögern Gebrauch machten.
    Der einzige Zugang zur Kaaba ist mit zwei Türflügeln verschlossen, die mir aus massivem Gold schienen. Er befindet sich auf der Ostseite, ganz in der Nähe des schwarzen Steins, in einer Höhe von circa sieben Fuß. Um dort hinaufzukommen, mußte der Großscherif eine Holzleiter erklimmen, die auf sechs Bronzewalzen herangeschoben worden war. Kaum hatte er mit einem silbernen Schlüssel die Tür geöffnet, flogen unzählige Arme in die Luft, und der Tumult wurde noch größer.
    Dadurch wurden wir immer weiter zurückgestoßen, daß wir den Großscherif kaum noch sehen konnten, denn wir mußten uns neben dem Zamzam in Sicherheit bringen. Es war unmöglich, durch die Menschenmenge zur Kaaba zu gelangen, zumal ich nach wie vor noch geschwächt war. Um die Kaaba herum standen über tausend von religiösem Eifer entflammte Menschen so dicht zusammengedrängt, daß sie beinahe zu einem Ganzen verschmolzen schienen und es ein Wunder war, daß sie sich überhaupt noch irgendwie rühren konnten. Sidi Bey hatte mir erklärt, Großscherif Omar würde seine beiden Begleiter unter denen auswählen, die er unmittelbar unter der Holzleiter stehen sehe, je nachdem, inwieweit er sich ihnen verpflichtet fühlte. Meine Aussichten waren also sehr gering.
    Ich schöpfte erst wieder Hoffnung, als ich merkte, daß sich die Wahl unerwartet lang hinzog und er jemanden mit dem Blick zu suchen schien. Da fuchtelte ich verzweifelt mit den Armen und sprang immer wieder hoch, soweit es meine Kräfte und die Menschentraube um mich herum erlaubten. Und das Wunder geschah: Er wurde tatsächlich auf mich aufmerksam, denn ich konnte sehen, wie er dem obersten Eunuchen ein Zeichen gab, der ganz in meiner Nähe stand. Daraufhin schrie der schwarze Riese ein paar Befehle, schulterte mich |568| wie ein Kleiderbündel und bahnte sich mit Hilfe seiner Männer einen Weg durch die Menschenmasse zum Fuß der Leiter, wo er mich absetzte. Dort erklärte er mir, ich solle beim Hinaufsteigen darauf achten, die erste Sprosse mit dem rechten Fuß zu nehmen. Und so gelangte ich wider Erwarten doch noch in den heiligen Würfel hinein.
    Doch wie sollte ich es bewerkstelligen, daß Sidi Bey dieselbe Ehre zuteil wurde? Ohne den Kaffeehändler an meiner Seite fühlte ich mich verloren und in großer Gefahr, denn wer würde mich nun unbemerkt darauf hinweisen, wie ich mich bei dieser feierlichen Zeremonie zu benehmen hatte? Ich wußte, ich hätte mich mit dem Privileg zufriedengeben sollen, das man mir gewährte, aber ich mußte das Wagnis eingehen, selbst wenn ich mir damit den Unmut des Großscherifs zuzog. Vor aller Augen zeigte ich also auf Sidi Bey, der inmitten der undurchdringlichen Menschenflut feststeckte. Omar warf mir einen zornigen Blick zu. Sei es, weil er beabsichtigt hatte, jemand anderem diese Ehre zu erweisen, oder weil es sich höchst schwierig gestalten würde, noch einmal einen Weg zwischen der Leiter und dem heiligen Brunnen freizubekommen. Jedenfalls willigte er schließlich ein, und Sidi Bey gesellte sich zu uns, so daß die Reinigungszeremonie

Weitere Kostenlose Bücher