Kryptum
Derart gekennzeichnet, sind die Sklaven leicht zu ergreifen, sollten sie einmal zu fliehen versuchen.
Das Geschick eines Sklaven hängt voll und ganz von seinem Herrn ab. Und der meine war kein schlechter Mensch. Ich glaube aber auch, daß ich ihm ein guter und beflissener Diener war, und so dauerte es nicht lange, bis Euldj Ali mich sehr schätzte. Die Monate zogen ins Land, und bald brachte er mir soviel Achtung entgegen, daß ich mich in seinem Palast frei bewegen konnte.
Zu dieser Gunst hatte auch das hohe Ansehen beigetragen, das ich bei einem schon etwas älteren Herrn genoß, einem häufigen Gast des Hauses namens Laguna. Ich erinnere mich noch genau an sein rotes Barett, das er, da er Arzt war, immer trug. Er war ein sephardischer Jude, dessen Familie aus La Puebla de Montalbán in der Gegend von Toledo stammte. Und obgleich er mit mir Judenspanisch sprach, war er sehr beglückt, als er hörte, daß ich auch Hebräisch konnte. ›Eure Bildung und Eure exzellenten kalligraphischen Künste werden Euch als Schreiber viel Anerkennung einbringen, glaubt mir‹, sagte er zu mir.
Und so war es denn auch. Binnen kurzem hielt Euldj Ali dermaßen große Stücke auf mich, daß er mich in seiner Bibliothek arbeiten hieß. Ja, er besaß tatsächlich eine Bibliothek, eine sehr große sogar, denn trotz seiner offensichtlichen Grobschlächtigkeit war er ein äußerst belesener Mann. Die Bücher von den Christen beschaffte er sich mittels seiner Unterhändler in anderen Ländern.
Nun mußt du wissen, daß die Türken einen regen Briefwechsel mit mehreren europäischen Staaten unterhalten. Sie bedienen sich dabei der Kurierdienste der Freiherren von Taxis, welche über die besten Boten und Kryptographen der |61| Welt verfügen. Durch das Studium der von ihnen verfaßten Geheimschriften lernte ich die verzwicktesten Dokumente zu entschlüsseln, aber ich hütete mich natürlich, dies meinem Gebieter zu offenbaren.
Eines Tages fiel mir beim Ordnen dieser Papiere ein Brief in die Hände, der in einem Königscode verschlüsselt war, wie man jene nannte, die nur für sehr wichtige Angelegenheiten verwendet wurden. Ich brauchte Wochen, bis ich das Schreiben an Fartax entziffert hatte. Man unterrichtete ihn darin von einem kaum bewaffneten Schiff ohne Eskorte, das nach Italien unterwegs war. Es handelte sich dabei um das Schiff, mit dem ich aus Spanien geflohen war! Als Gegenleistung für diesen wertvollen Hinweis, aus dem Fartax großen Nutzen ziehen konnte, verlangte der Briefschreiber lediglich, daß alle Männer in einem gewissen – meinem! – Alter zum Galeerendienst verurteilt werden sollten. Obgleich Fartax die Nachricht aus Italien erhalten hatte, war ersichtlich, daß dieser Wink aus Spanien stammte. Und zwar von weit oben, von jemandem, der dem König sehr nahestand!
Weitaus mehr überraschte mich jedoch, daß in dem Schreiben auch von der Casa de la Estanca in Antigua die Rede war, in der meine Familie einst gelebt hatte. Und auch von einer reichen Beute, die man unter sich aufteilen konnte. Es schien sich dabei um einen Schatz zu handeln, aber ich wurde aus den vagen Andeutungen nicht klug, setzte der Schreiber doch vieles als bekannt voraus.
Durch diesen Brief rissen in meinem Inneren wieder all die Wunden auf, die ich längst vernarbt glaubte: die Versetzung meines Vaters in die Sierra Nevada; die grausame Art und Weise, wie man ihn zu Tode gefoltert hatte; die Furcht meines Onkels, des Abts, daß man mich im Kloster entdecken könnte; meine überstürzte Flucht; das, wie sich nun herausstellte, alles andere als zufällige Kapern unseres Schiffs … Was war das für ein Geheimnis, das meine Familie zu verfolgen schien und so sorgsam gehütet werden mußte, daß mein Vater dafür sogar das Leben der Seinen in Gefahr brachte und lieber unter |62| schrecklichen Folterqualen starb als es preiszugeben? Oder betraf es gar nicht uns, sondern die Casa de la Estanca?
All dies gab mir viel zu denken, denn sollte ich nicht hinter dieses Geheimnis kommen, würde ich mich Gefahren aussetzen, vor denen ich mich nur schlecht schützen konnte. Ein ums andere Mal durchsuchte ich Fartax’ Archiv, um weitere Details herauszufinden. Vergeblich.
Dieser Brief war es, der mich zur Flucht trieb. Oder zumindest dazu, es zu versuchen, denn in meiner Hast wurde ich an einem der Tore der Stadt erwischt, und da ich keinen Geleitbrief hatte, schleifte man mich wieder zu meinem Herrn zurück. Für die Flucht hatte ich mich mit Hemd und
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