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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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… und er vollführte einen schnellen Schnitt. Doch er schnitt mir nicht ins Fleisch, sondern durchtrennte nur das geflochtene Band, das die maurische Spinnerin einst Alcuzcuz und mir überreicht hatte.
    Er übergab es dem Admiral, der es kurz begutachtete und dem Janitscharen dann einige Fragen stellte, die dieser jedoch anscheinend nicht beantworten konnte. Ali bedeutete ihm daraufhin mit einer Handbewegung, zu den Rudern hinabzusteigen. Kaum war er wieder zurück, schien er dem Schiffskommandanten zufriedenstellend Auskunft geben zu können.
    Sie gaben mir das Band zurück – ich legte es mir unverzüglich wieder um den Hals, hatte es mir vorerst doch das Leben gerettet – und sperrten mich ein, streng getrennt von all den anderen Gefangenen. Die Tage verrannen, und mit jedem schöpfte ich neue Hoffnung, da sie mich immerhin mit Wasser und etwas Nahrung versorgten. Dann erfuhr ich, daß wir Kurs auf Konstantinopel nahmen, weshalb mir der Gedanke kam, daß man wahrscheinlich unsere Ankunft dort abwarten wollte, um mit meiner Hinrichtung ein Exempel zu statuieren.
    Viel später sollte ich mehr über den Mann erfahren, der jenes Schiff, ja gar die ganze Flotte befehligte. Euldj Ali war sehr streng, aber gerecht. Sein Spitzname lautete Fartax, was auf türkisch ›Grindschädel‹ heißt. Und den hatte er auch wirklich, denn durch sein Leiden waren ihm fast sämtliche Haare ausgefallen, und sein Gesicht war sehr verunstaltet, was ihm ein geradezu furchterregendes Aussehen verlieh. Türke war er indes nicht von Geburt an, sondern von Amts wegen, das heißt, er war ein Abtrünniger des christlichen Glaubens. Er stammte aus Kalabrien, aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Zusammen mit seiner verwitweten Mutter war er als kleiner Junge von den Türken gefangengenommen worden, als die beiden gerade in ihrem kleinen Boot auf Fischfang waren, womit sie sich ihren Lebensunterhalt verdienten. Schon bald wurde einer der berühmtesten osmanischen Korsaren, Cheir-ed-Din Barbarossa, auf ihn aufmerksam. Er setzte ihn zuerst als Sklavenaufseher |59| und dann als Kapitän eines seiner Schiffe ein. Binnen kurzem genoß er hohes Ansehen bei den Türken; Sultan Süleiman der Große ernannte ihn schließlich zum Admiral.
    Das also war Euldj Ali, der Mann, in dessen Hand mein Leben lag. Es beruhigte mich ein wenig, daß er ehemals Christ gewesen war. Und Galeerensklave. Schlecht war nur, daß er auch Sklavenaufseher gewesen war.
    Mit diesen Sorgen und Ängsten gingen die Tage dahin, bis Fartax die Flotte in sichere Gefilde geleitet hatte und damit die nötige Ruhe fand, sein Urteil zu sprechen. Es unterstrich seinen Ruf als gerechtigkeitsliebender Mensch. In Anbetracht der Tatsache, daß man mich des Mordes am Sklavenaufseher beschuldigte, hatte er noch am selben Tag untersuchen lassen, ob die Gefangenen auf den Bänken vor mir am Mund Blutspuren aufwiesen. Dies mußte der Obmann der Wache, nachdem er in den Kielraum hinabgestiegen war, bejahen. Danach hatte Fartax den Janitscharen darauf aufmerksam gemacht, daß zwar mein ganzer Körper vom Blut des Aufsehers befleckt gewesen war, nicht aber mein Mund. Folglich erklärte er mich nun, nach einer halben Ewigkeit des Bangens um mein Leben, für unschuldig und ließ mich für den Rest der Reise wieder an die Ruderbank ketten.
    Konstantinopel ist eine sehr große Hafenstadt; es gibt keine schönere im ganzen Mittelmeer. Wir wurden mit unzähligen Salven begrüßt. Kaum lagen wir vor Anker, als der fünfte Teil der Sklaven auch schon wie Schafe zusammengepfercht wurde, standen sie doch rechtmäßig dem Sultan zu. Man bezeichnet sie als Gefangene der Stadt, und sie werden für die öffentlichen Bauten eingesetzt. Sie erlangen nur äußerst schwer die Freiheit wieder, weil sie mit niemandem über ihren Freikauf verhandeln können. Das Leben dieser Unglücklichen ist keinen Schuß Pulver wert, und an ihnen lassen die Aufseher für gewöhnlich ihre ganze Wut aus. Um den anderen Sklaven ein abschreckendes Beispiel zu geben, wird ihnen beim geringsten Anlaß ein Ohr oder die Nase abgeschnitten. Oder sie werden gleich gehängt.
    |60| Ich gehörte zum Glück nicht zu diesen Sklaven, denn Fartax hatte von meiner Sprachbegabung gehört und beschlossen, mich als Schreiber zu behalten. Man brachte mich deshalb in sein Haus und schor mir die Haare und den Bart. Dies wurde danach alle zwei Wochen wiederholt, sowohl aus Gründen der Reinlichkeit als auch, um damit zu bekunden, daß ich ein Sklave war.

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