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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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fehlgeschlagen. Und ich habe schon über dreißig zu einem glücklichen Ende gebracht‹, fügte er hinzu. ›Das wichtigste ist, ein Schiff zu finden, auf dem Ihr Euch verstecken und dann fliehen könnt. Ich werde Euch einen Platz auf einem besorgen, das Euch an einer gewissen Stelle des Hafendamms zur verabredeten Stunde erwarten wird.‹
    Er verlangte eine ansehnliche Summe als Vorauszahlung. Ich sagte ihm, ich würde ihm die Hälfte gleich geben und ihm die andere zukommen lassen, sobald ich mich in Sicherheit befände. Er lehnte meinen Vorschlag jedoch ab.
    ›Wenn Ihr mir nicht traut, gibt es nichts mehr zu reden‹, sagte er würdevoll.
    Ich schlug also ein. Für die vereinbarte Summe mußten meine Ersparnisse herhalten; den Rest stahl ich mir zusammen. Bald war alles für die Flucht vorbereitet.
    Am festgelegten Tag schlich ich mich unbemerkt aus dem |65| Haus meines Gebieters und machte mich auf den Weg zum Hafen. Das Herz schlug mir wild in der Brust. Ich suchte die ganze Mole ab, aber das in Aussicht gestellte Schiff war nirgends zu entdecken. Also beschloß ich, mich zwischen der aufgetürmten Handelsware zu verstecken und zu warten. Der Abend verstrich, die Nacht … Nach vielen Stunden, in denen ich immer beklommener wurde, ging mir allmählich auf, daß man mich betrogen hatte. Sicher hatte mich Fartax längst vermißt, und seine Männer würden bereits nach mir suchen.
    Als es tagte, konnte ich von meinem Versteck aus sehen, daß es zwischen der Ware am Ladeplatz von seinen Leuten nur so wimmelte. In diesem Sommer war er nicht auf Kaperfahrt gegangen, da er seine Flotte in der Werft kalfatern und ausbessern ließ. Ich konnte also aus meinem Schlupfwinkel nicht heraus, denn sie würden mich sofort erkennen. Langsam bekam ich Hunger und Durst, und meine Besorgnis wuchs. Bei Tagesanbruch hatte der Hafen begonnen, sich zu beleben, lange würde ich mich nicht mehr hinter all den Kisten verstecken können. Da bemerkte ich auch schon voller Entsetzen, daß ein Aufseher auf mein Versteck zusteuerte, davor stehenblieb und dann seine Leute anwies, die Ballen zu verladen, zwischen denen ich kauerte. Einen nach dem anderen schafften sie fort, sie arbeiteten sich zu mir vor, bald würde von dem Haufen vor mir nichts mehr zu sehen sein, es blieben nur noch wenige Bündel, bis sie mich entdecken würden …«
    Randa verstummt, denn er hört die Schritte seiner Kerkermeister, die sich der Zellentür nähern. Wieder dreht sich der Schlüssel geräuschvoll im Schloß, und auf der Schwelle erscheinen die bewaffneten Männer.
    »Ich fürchte, sie kommen, dich zu holen, mein Kind. Sehe ich dich wieder?«
    »Ich weiß es nicht,Vater, ich weiß es wirklich nicht. Ich hoffe, sie lassen mich morgen wieder zu dir.«
    Man ruft sie. Ruth steigt die Treppenstufen hinauf und winkt ihm von oben zum Abschied noch einmal schüchtern |66| zu. Wie er sie so sieht, fällt es Randa schwer, zu glauben, daß sein kleines Mädchen, kaum zur Frau geworden, bald selbst Mutter sein wird, bereit, der Familie inmitten all der Widrigkeiten einen Erben zu schenken. Und trotz der Sorge kann er sich eines Gefühls des Stolzes nicht erwehren, da er in ihr den gleichen Mut, die gleiche Tapferkeit erkennt, die seine Frau, Rebecca Toledano, so oft unter Beweis gestellt hat. Doch die Erinnerung an sie bewirkt, daß er betrübt den Kopf hängen läßt.
    Oben an der Tür dreht sich Ruth ein letztes Mal um und blickt zu ihrem Vater hinunter, der mit gesenktem Kopf auf der Steinbank sitzt. Die Einsamkeit, in der sie ihn zurückläßt, schnürt ihr das Herz zusammen. Aber sie kann sich ihrem Kummer nur kurz hingeben, denn an ihrem Arm fühlt sie plötzlich den eisernen Griff einer Hand, die nicht menschlich zu sein scheint. Wer sie da am Ellbogen packt, ist der Mann mit der Maske, der Befehlshaber. Er schiebt sie von der Tür weg, die er nun mit der linken Hand zuzieht, während seine rechte, behandschuhte, den Schlüssel in dem komplizierten Schloß herumdreht. Dabei verrutscht jedoch der Handschuh, und die junge Frau sieht, was sich darunter verbirgt. Es ist kein Fleisch, es ist eine Hand aus Metall. Aus Silber, zweifellos.

|67| 2 Der Kryptologe
    David Calderón trat ans Fenster und schob den schweren Vorhang zurück, der das Zimmer im Halbdunkel gehalten hatte. Er blinzelte, als er ins Sonnenlicht sah und seinen Blick über den See hinüber zum großen Parkplatz schweifen ließ, der sich hinter den bleiverglasten Fenstern verschwommen abzeichnete. Er

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