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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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ich fiel ermattet vom Pferd.
    Meine Haut war völlig ausgetrocknet, die Augen vom Sand gerötet, die Kehle rauh wie Leder. Und meine Zunge war geschwollen und mit einem münzdicken Belag überzogen, der geschmacklos und weich wie Bienenwachs war. Mein Körper war in tiefe Lethargie verfallen, die jede Bewegung unmöglich machte. Eine beklemmende Schwere schnürte mir die Luft ab. Ich war selbst überrascht, als aus meinen Augen einige dicke Tränen liefen, denn es schien mir unmöglich, daß noch irgendein Tropfen Flüssigkeit in mir geblieben sein sollte. Ich schrieb sie meiner Wut zu, mitten in der Wüste und fern meiner Frau und meiner Tochter eines so sinnlosen Todes zu sterben. Dennoch kämpfte ich dagegen an, das Bewußtsein zu verlieren.
    |611| Auf einmal vernahm ich ein dumpfes Schlagen. Zuerst hielt ich es noch für eine Sinnestäuschung, denn meine Ohren waren verstopft, und das Herz hämmerte wild in meiner Brust. Mit letzter Kraft versuchte ich mich ganz auf die Schläge zu konzentrieren. Nein, es war keine Einbildung, ich hörte sie tatsächlich, und sie schienen ganz aus der Nähe zu kommen. Mühevoll hob ich den Kopf und wischte mit einer zitternden Hand die Tränen aus den Augen. Und da sah ich, was dieses Geräusch verursachte.
    Es war mein Pferd Dhikra. Der Hengst stand einige Meter von mir entfernt und scharrte mit der rechten Vorhand im Sand. Ich wunderte mich sehr darüber. Wieso tat er das? Unsere Lage war doch hoffnungslos. Aber das Tier scharrte hartnäckig weiter, und zwar so ausdauernd, daß kein Zweifel blieb, daß es etwas im Sand aufgestöbert hatte. Es mußte wohl spüren, daß ich noch bei Bewußtsein war, denn es wieherte nun leise.
    Stück für Stück robbte ich näher. Da erblickte ich im Sand ein paar rötliche Flecken. Ich brauchte eine Weile, bis ich erkannte, daß es sich um die Blüten eines roten Oleanderstrauchs handelte. Ein Anzeichen für Wasser! In dem Maße, wie ich mit beiden Händen den staubigen Sand wegschaufelte, kamen darunter festere, immer feuchtere Schichten zum Vorschein. Mein edles Vollblut hatte einen verschütteten Brunnen gewittert!
    Ich rief nach meinen Gefährten, die nicht weit von mir ebenfalls von ihren Reittieren gefallen waren und sich nun mühsam aufrappelten, um im Gepäck der Maultiere, die wir bereits aufgegeben hatten, nach Werkzeug zu suchen, mit dem wir graben konnten. Bald stießen wir auf Wasser, an dem sich Mensch und Tier satt tranken und die dann in einen tiefen, heilsamen Schlaf fielen. Es wurde Nacht.
    Am nächsten Tag nahm ich den Ort näher in Augenschein und stellte fest, daß die göttliche Vorsehung Dhikra nicht irgendeinen Brunnen hatte finden lassen. Nein, er hatte Qasarra entdeckt! Da kam mir auch wieder in den Sinn, daß Sidi |612| Bey mir erzählt hatte, in seinen besten Zeiten habe man in Qasarra reichlich Wasser zur Verfügung gehabt, und der Wüstenpalast habe auch mehrere Bäder besessen, doch nach alldem, was er von anderen Reisenden gehört habe, hätten die wütenden Sandstürme ihn im Laufe der Jahrhunderte vollständig verschüttet.
    Wir brauchten viele Tage, um ihn freizulegen. Nach und nach kam der von Kalif al-Walid I. errichtete Palast zum Vorschein, wie das Skelett eines Tieres. Das Hauptgebäude war noch fast unversehrt. Wir richteten unsere Anstrengungen darauf, zum Thronsaal vorzudringen, den, wie mir Sidi Bey ebenfalls erklärt hatte, eine runde Kuppel krönte. Die Überraschung war groß, als wir an den Mauern Wandmalereien entdeckten, die noch recht gut erhalten waren. Es verschlug mir jedoch die Sprache, als ich das Bildnis eines Mannes erkannte, der mir sehr vertraut war: Don Rodrigo, der letzte Gotenkönig.
    Ich ließ mich vor dem Bild nieder und erinnerte mich daran, warum ich eigentlich hier war, weit weg von meiner Heimat. Ich dachte zurück an das Treffen im Ratssaal des Escorial, als Philipp II. mich mit dieser Mission betraut hatte. Und mir ging durch den Sinn, wie paradox es doch war, daß im Herzen Kastiliens ein Monarch von Salomos Tempel träumte und sogar ein Gebäude nach seinem Vorbild errichtete, während hier, mitten in der syrischen Wüste, Jahrhunderte vorher ein Omaijadenkalif sich nach den Schätzen und Gärten des fernen Al-Andalus verzehrt hatte. Vielleicht hatten Alcuzcuz und Fartax ja recht gehabt, als sie mir versicherten, daß sich am Mittelmeer Orient und Okzident vereinigten. Seine Menschen hatten soviel gemeinsam, daß sich ihre Schicksale zu guter Letzt miteinander verbanden,

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