Kryptum
gestutzte Kinnbart standen in augenfälligem Kontrast zu dem Aussehen des korpulenten Mannes, dem er gleich darauf die Tür aufhielt. Der Fremde trug die Jacke leger über der Schulter, dazu Hosenträger, eine Sonnenbrille und eine Baseballkappe. Und in der Hand eine abgegriffene Aktentasche aus Leder.
|70| »Kommissar John Bealfeld«, verkündete der geschniegelte Geschäftsführer.
David war verwundert, daß Carter sich als Empfangschef zur Verfügung stellte. Der Besucher mußte jemand wirklich Wichtiges sein. Wichtiger noch, als er nach ihrem Telefongespräch vermutet hatte.
Als Bealfeld sich dem Schreibtisch näherte, glitten die bunten Lichtreflexe der großen bleiverglasten Fenster über sein Gesicht und hoben die runden Züge des Kommissars und seine Boxernase hervor. Aber erst als er David zur Begrüßung die Hand hinstreckte und dabei die Sonnenbrille abnahm, konnte David seine forschenden blauen Augen sehen.
Zu seiner Überraschung hastete nun auch Carter nervös auf ihn zu, als wäre er als Geschäftsführer selbstverständlich der Ansprechpartner für alles, was in der Stiftung vor sich ging.
Doch Bealfeld streckte Carter bereits entschieden die Hand entgegen und sagte mit eisiger Höflichkeit:
»Vielen Dank für Ihren freundlichen Empfang. Ich werde nachher noch in Ihrem Büro vorbeikommen, um mich zu verabschieden.«
»Machen Sie nicht zu lange …« Der Geschäftsführer versuchte seinen Verdruß über die Zurückweisung damit zu überspielen, daß er seine Fliege zurechtrückte. »In einer halben Stunde schließen wir.«
Der Kommissar legte die Ledertasche auf einen Stuhl und die Sonnenbrille auf den Tisch, nahm die Baseballkappe ab, strich mit der Hand über das spärliche Haar und wandte sich dann wieder an Carter. Er sah ihn einen Augenblick schweigend an und sagte schließlich sehr bedächtig:
»Ich glaube, mit anderthalb Stunden kommen wir zu Rande, meinen Sie nicht auch, Mr. Calderón?«
Der Geschäftsführer schnappte nach Luft. Er blies die Wangen auf, stellte sich auf die Spitzen seiner makellos geputzten Schuhe und begann wie ein Huhn kurz vor dem Eierlegen mit den Armen zu flattern, bevor er sich notgedrungen geschlagen geben mußte.
|71| »In Ordnung«, murmelte er. »Ich hole Sie ab. In eineinhalb Stunden.«
Bealfeld zwinkerte David zu, der vom selben Moment an wußte, daß er mit diesem Mann gut auskommen würde. Er wartete, bis Carter den Raum verlassen hatte, und bot dem Kommissar dann einen Stuhl an. Aber Bealfeld konnte seinen Blick nicht von den bunten, ornamentalen Fensterscheiben losreißen.
»Blendet Sie das Licht?« fragte David.
»Nein. Ich habe mir nur das Wappen angeschaut. Etwas Ähnliches habe ich gestern erst bei der Fronleichnamsprozession in Antigua gesehen, auf der Standarte einer der Laienbruderschaften. Natürlich ohne die Buchstaben A & T, die vermutlich die Initialen von Abraham Toledano darstellen.«
»In letzter Zeit stehen sie hier in der Stiftung auch für
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. Der Geschäftsführer, der uns gerade miteinander bekannt gemacht hat, versucht damit neue Gelder aufzubringen. Doch wenden wir uns lieber dem Wappen zu, nach dem Sie gefragt haben. Es stellt ein würfelförmiges Kreuz mit sechs Armen dar, einen Hyperkubus. Manche sagen, es sei ein altes Freimaurersymbol, das auf die Duplizität jeder der drei Dimensionen hinweist, die die Koordinaten des Würfels kennzeichnen: das Obere steht in Verbindung mit dem Unteren, die rechte Seite mit der linken und das Vorangegangene mit dem Nachfolgenden … Obwohl Sie sicher schon wissen, daß bei den Toledanos immer alles noch viel komplizierter ist.«
»Ja, diese Befürchtung habe ich auch«, brummte der Kommissar und setzte sich nun auf den Stuhl, den David ihm angeboten hatte. »Ich würde zuerst gern alle Details noch einmal zusammenfassen. Korrigieren Sie mich bitte, wenn ich mich in irgend etwas täusche, Mr. Calderón. Also: Bevor sie nach Spanien gereist ist, hat Sara Toledano Sie unter Vertrag genommen, damit Sie sie von hier aus bei ihrer Arbeit als Beraterin des Präsidenten unterstützen, der in Antigua eine Friedenskonferenz mit Palästinensern und Israelis plant.«
»Das ist mehr oder minder korrekt.«
|72| »Sie hat Sie gebeten, hierher in die Stiftung zu kommen, deren Präsidentin sie ist. Sie hat Ihnen ihr eigenes Büro zur Verfügung gestellt und Ihnen den Zugriff auf alle Daten sowie die Einsicht in sämtliche Akten gestattet. Und Sie haben in ständigem Kontakt mit ihr
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