Kryptum
nichts
aus, daß sie ihn für verrückt hielten. Er fühlte sich wie ein Entdeckungsreisender
, der Erforscher einer neuen Welt. »Das ist einfach
unglaublich«, versicherte er mir, »sogar ich selbst kann es
kaum glauben.« Es war nur einer der Gründe, warum ihn einer
nach dem anderen abwies, wenn er ihn um Unterstützung des
Zentrums für Sephardische Studien bat, das er aufbauen sollte.
Aber aus genau diesem Grund war ich auch zu ihm gefahren, ja
ich war von meinem Vater, Abraham Toledano, sogar regelrecht
dazu ermuntert worden: Ich sollte versuchen, Pedro auf den
»rechten«Weg zurückzubringen.
Da ich damals nicht alles verstehen konnte, was er mir erklärte
, hob ich die Notizen auf, die ich mir abends nach unseren Gesprächen
immer gemacht hatte.
Pedro war sehr einsam. Dann und wann traf er sich mit Juan
Ramírez de Maliaño. Und er stand in Kontakt mit Leuten, die
ihn an ihre Computer ließen, worum er sie aber nur selten bat.
Um keinen Staub aufzuwirbeln, sagte er. Doch eigentlich hatte
er nur noch mich. Und selbst ich begann zu zweifeln, was ihn
ziemlich deprimierte und blockierte.
Eines Tages – er recherchierte in der Bibliothek des Escorial gerade
etwas für das Zentrum für Sephardische Studien – entdeckte
er dann den Pergamentkeil mit der Aufschrift
ETEMENANKI
oder
Der letzte Schlüssel
. Er begriff sofort, daß er zum
selben Aktenbündel gehörte wie die anderen drei Keile, die mein
Vater Hitlers Reichsminister Albert Speer abgekauft hatte und
die von der
NSA
einbehalten worden waren. Nur daß dieses
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Fragment noch bedeutungsvoller sein mußte. Die Geschichte von
Philipp II. beeindruckte ihn sehr: Der König hatte unbedingt
mit diesem Pergament in der Hand sterben wollen, als wäre es
eine Eintrittskarte für den Himmel. Ausgehend von diesem Keil
versuchte er das gesamte Labyrinth zu rekonstruieren. Was ihn
am meisten überraschte, war, daß er dabei auf einen bis dahin in
der Kryptographie unbekannten Schlüssel stieß. »Eine völlig
neue Chiffre«, sagte er, »kannst du dir das vorstellen? Ich hatte
geglaubt, in der Vergangenheit zu graben, dabei habe ich in Wirklichkeit
in die Zukunft geblickt.«
Jetzt, nachdem ich die Zeichnung von Cardanos Verschlüsselungsmaschine
gesehen habe, habe ich endlich erkannt, was Pedro
damals schon ahnte: daß das gesamte Labyrinth das Raster
eines Quadrats mit 60 x 60 gleich großen Kästchen ergab. Cardanos
Maschine war nichts anderes als ein primitiver Computer,
mit dem man Mitte des 16. Jahrhunderts etwas ähnliches zu erreichen
suchte, was Pedro nun über vierhundert Jahre später, ausgehend
von dem Muster auf dem in der Bibliothek des Escorial
gefundenen Fragment, anstrebte: das gesamte Pergament zu rekonstruieren
, indem er alle möglichen Kombinationen einer Zelle
mit ihren benachbarten Zellen erstellte. Vielleicht konnte er so
das Sexagesimalsystem, mit dem die Babylonier um 3000 v. Chr.
rechneten, in unser Dezimalsystem übersetzen.
Ich verstehe nicht viel von diesen Dingen. All das hat sich mir
erst im Laufe der Jahre erschlossen, während deren ich von den
unterschiedlichsten Fachleuten mehr zu erfahren suchte, wobei
ich mich bemühte, nicht zu konkret zu werden oder mehr Informationen
als nötig zu geben, damit die
NSA,
die ihre Spitzel ja
überall hat, keinenVerdacht schöpfte. Aber ich will jetzt nicht abschweifen
.
Pedro war sich bewußt, daß er mit der Rekonstruktion des
Labyrinths in eine neue Phase des Programms CA-110 eingetreten
war. Er brauchte dazu finanzielle Mittel, den Austausch mit
Experten und das neueste Equipment. Alles Dinge, die ihm in
Antigua nicht zur Verfügung standen. Nur die National Security
Agency konnte ihm das bieten, und nur dort durfte er aufgrund
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seiner lebenslangen Geheimhaltungspflicht darüber sprechen. Sie
hatten ihn in der Hand. Ich bat meinen Vater zu vermitteln, damit
er in der
NSA
eine zweite Chance bekam und man ihm als
Gegenleistung das Vorkaufsrecht auf diesen kryptographischen
Schlüssel einräumte. Sie willigten ein, Pedros Arbeiten zu prüfen
– und ließen kein gutes Haar daran. Außerdem hätten sie das
Programm CA-110 schon selbst weiterentwickelt und sähen keinen
Grund, zweimal für das gleiche zu bezahlen. Das hat Pedro
niedergeschmettert, weil er wußte, daß er ohne Zugang zu den
leistungsfähigen Rechnern der Agency von dieser Arbeit aufgezehrt
würde. Und auch weil er keinen Zweifel daran hegte, daß
hinter derWeigerung der
NSA
wieder James Minspert steckte.
Deshalb war
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