Kryptum
tauschte er die alten Schlüssel seines Vaters nach und nach gegen neue aus. Etliche sind im Laufe der Jahrhunderte entschlüsselt worden, doch die Entschlüsselung der Briefe, die uns im konkreten Fall interessieren, ist noch niemandem gelungen.«
|97| Bealfeld sah von seinen Notizen auf.
»Okay, aber nun bin ich doch ziemlich neugierig auf diesen Raimundo Randa geworden. Was wissen Sie über diesen Kurier und Spion Philipps II.? Und wieso mußte er überhaupt vor dem Inquisitionsgericht erscheinen?«
»Er wurde beschuldigt, gleich mehrmals der christlichen Religion abtrünnig geworden zu sein. Randa hatte als Gefangener der Türken in Konstantinopel gelebt und war danach durch halb Europa gereist. Er war in Jerusalem und Nordafrika, zudem in der für jeden Nichtmuslim verbotenen Stadt Mekka und noch an einigen anderen Orten im Nahen Osten. Vielleicht war er auch ein Doppel- oder Dreifachagent, und man wollte ihn mit dieser Anklage aus dem Weg räumen …«
»Bei so einem Lebenslauf wundert es mich nicht, daß Sara Toledano sich für ihn interessiert hat. Er hat im übrigen einen sehr seltsamen Nachnamen, finden Sie nicht?«
»Das gleiche dachte ich anfangs auch«, erwiderte David. »Randa hört sich nicht nach einem spanischen Familiennamen an, vielmehr nach einem Namen, den er sich selbst zugelegt hat, aus welchen Gründen auch immer. Er ist jedenfalls für einen Boten und Spion ideal, denn es gibt ihn in den verschiedensten Sprachen: Spanisch, Französisch, Englisch, Portugiesisch, Italienisch, Deutsch, Latein, Arabisch …«
»Im Spanischen habe ich ihn noch nie gehört.«
»
Randa
ist nicht sehr geläufig und bedeutet soviel wie ›Halunke‹ oder ›Gauner‹. Das Wort bezeichnet ferner gewebte Spitze, die man auch Teufelsspitze nennt. Und noch eine Bedeutung hat
Randa
: es ist der Name eines Computerwurms.«
»Eines Computerwurms?«
»Erstaunlich, nicht wahr? Als ich bei Google danach gesucht habe, stieß ich darauf:
Der Wurm Randa wurde am 23. August
2002 gemeldet und hat in Spanien massive Verbreitung gefunden. Er
pflanzt sich in E-Mails mit einem Attachment mit doppelter Extension
fort, das 4,5
KB
Speicherplatz benötigt
.«
»Und diese Reisen, von denen Sie gesprochen haben: unternahm Randa sie nur wegen dieses Pergaments?«
|98| »Es sieht ganz danach aus. Das Pergament muß also einen immensen Wert haben. Vielleicht erklärt das, warum Philipp II. unbedingt mit einem der Keile in der Hand sterben wollte. Wir wissen nur sehr, sehr wenig über diesen Randa; deshalb wollte Sara ja auch unbedingt die Akten des Inquisitionsprozesses einsehen, was ihr erst jetzt im Vorfeld der Friedenskonferenz gelungen ist. Raimundo Randa scheint kein gewöhnlicher Bote gewesen zu sein. Er war einer, der nur in wirklich wichtigen Fällen herangezogen wurde. Unter anderem, weil er wohl sehr teuer war. Sehr schnell, sehr sicher, aber eben auch sehr teuer. Information war damals schon kostbar, dieser Mann bot jedoch noch etwas ganz Besonderes. Allem Anschein nach verfügte er über ein eigenes Chiffriersystem. Jedenfalls gelang es keinem seiner zeitgenössischen Feinde, auch nur eine seiner Botschaften zu entschlüsseln. Allerdings hat er die Reisen, über die wir die meisten Quellen haben, auch innerhalb eines sehr sicheren Gebiets gemacht: dem Kuriernetz der Taxis.«
»
Taxis?
Wie unsere heutigen Taxis?«
»Ja genau. Und das ist kein Zufall. Die Familie der Taxis, ein altes lombardisches Geschlecht aus der Nähe von Bergamo, richtete Ende des 15. Jahrhunderts den ersten Kurierdienst zwischen Wien und Brüssel ein, der bald durch Verbindungen zu weiteren königlichen Höfen ausgebaut wurde. Daraus entwickelte sich dann das gesamte westeuropäische Postwesen. Heute verwenden wir nicht nur ihren Namen für die Wagen, die Fahrgäste von A nach B transportieren, wie Sie richtig assoziierten, sondern nach wie vor auch noch ihre Farbe und ihr Wappen.«
»Deshalb sind die
taxicabs
in NewYork also gelb?«
»Unter anderem, die Farbe Gelb sieht man am besten, selbst aus der Ferne und bei schlechtem Wetter. Nun, und was das Wappen betrifft, so findet sich das Posthorn auf gelbem Grund zum Beispiel immer noch bei der deutschen und der spanischen Post. Was wiederum auch kein Zufall ist, denn das Herrschergeschlecht der Habsburger unterstützte die Taxis in ihren |99| Bestrebungen und nutzte ihre Dienste von Anfang an. Kaiser Karl V. ernannte sie zu
Correos Mayores de Castilla.
Und gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde ihnen
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