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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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ihm über Euch erzählt
hatte. Ich dachte eigentlich, er habe das alles längst vergessen
. Doch weiß man nie, was einem Menschen, selbst einem
König, wirklich wichtig ist, bis seine letzte Stunde geschlagen
hat.
    Das sage ich Euch, weil ihm keine der vielen und wertvollen
Reliquien in jenem Moment Trost spenden konnte, und ich mußte
lange forschen, bis ich herausfand, wonach er suchte. Es war jenes
Pergamentfragment, auf dem das Wort
ETEMENANKI
geschrieben stand, dem er höchstpersönlich
Der letzte Schlüssel
hinzufügte. Mit diesem Keil in der Faust glaubte er seine letzte
Reise beruhigt antreten zu können.
    Zu jener Zeit befand sich Seine Majestät schon am furchtbarsten
Punkt seiner Krankheit. Wie seinen Vater, den Kaiser, quälte
auch ihn die Gicht. Voller Geschwüre und schwärender Wunden
, war er nur noch ein Häufchen Elend, mit dessen Ableben
man tagtäglich rechnete. Der Tod war ihm nicht fremd, denn er
hatte seine vier Frauen und sechs seiner Kinder aus dem Leben
scheiden sehen; doch die fürchterlichen Qualen, die seinen Körper
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heimsuchten, brachten ihn fast um denVerstand. Die Wassersucht
blähte seinen Bauch auf und ließ ihn immerzu einen brennenden
Durst verspüren. Er hatte das Gefühl, bei lebendigem
Leib zu verfaulen. Dann brachen an den Händen und Füßen
Wunden auf, aus denen übelriechende Flüssigkeiten flossen, die
die Haut zerfraßen. Sein Leiden war so groß, daß er es nicht einmal
mehr ertrug, zugedeckt zu werden. Sein Zustand verschlechterte
sich noch durch eine bösartige Geschwulst, die über seinem
rechten Knie wuchs, und bald war der Oberschenkel zu einem
einzigen Eiterbeutel geworden, der täglich bis zu zwei Näpfe
gelblichen Schleim und sonstige abscheuliche Körpersäfte absonderte. So
große Schmerzen peinigten ihn, daß er sich nicht einmal
mehr umzudrehen vermochte und nur noch auf dem Rücken liegen
konnte.
    So verwandelte sich das Bett Seiner Majestät in eine Jauchegrube
, aus der die widerlichsten Gerüche aufstiegen. Seine Majestät
lag in seinen eigenen Exkrementen, die sich mit den eitrigen
Säften seines verfaulenden Körpers vermischten. In den zwei
Monaten, die er im Todeskampf daniederlag, konnte man weder
die Laken wechseln, auf denen er ruhte, noch ihn waschen, weil
er sich nicht mehr bewegen konnte. Und so sah sich der mächtigste
Herrscher des Erdkreises, der zu Lebzeiten der wohlgepflegteste
und reinlichste von allen gewesen war – so daß er nicht einmal
eine Spinnwebe an der Decke ertragen konnte oder einen Fleck
auf dem Boden oder einen Kratzer an der Wand –, in seinen
eigenen fauligen und melancholischen Körpersäften ertrinken.
    Ihr werdet Euch fragen, wie er jenen schrecklichen, 53 Tage
währenden Todeskampf ertragen konnte. Meiner Meinung nach
war dies jenem Pergament zu verdanken. Von dem Moment an,
da er es in seiner Faust hielt, wurde er ruhiger und gelassener, und
anderthalb Tage vor seinem Tod war Seine Majestät schließlich
frei von allen Schmerzen. All das schrieb er diesem Pergament
zu, das für ihn wie eine Reliquie war, an die er sich viele Stunden
lang klammerte, und das mit so großen Bezeugungen der
Reue und der Liebe, daß es schien, als ob er sie ganz verinnerlichen
wolle.
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Er hatte alles in seinem Leben stets mit größter Sorgfalt und
Inbrunst vollführt. Stets hatte er seine Hände, Füße und Augen
beschäftigt. Mit seinen Händen schrieb er; mit seinen Füßen lief
er; und seine Augen hatten alles im Blick, wie ein Weber, der in
den zu webenden Stoff verschiedene Fäden einzuarbeiten hat.
So war auch sein Herz. Und sein Tod war, als würde man den
fertiggewebten Stoff vom Webstuhl nehmen …«
    Als David aufsah, zeigte Bealfeld sich tief beeindruckt.
    »Ich hatte ganz vergessen, wie makaber die Spanier in solchen Dingen sind … Eine Frage hätte ich aber: Wenn das ein Brief an diesen Raimundo Randa ist, wie kommt es dann, daß der Mönch ihn unter seinen Papieren aufbewahrte?«
    »Wahrscheinlich ist es nur ein Entwurf. Oder eine Abschrift des Briefes, von dem wir nicht einmal wissen, ob er ihn je abgeschickt hat. Als mein Vater ihn in der Bibliothek des Escorial fand, setzte er sich mit Abraham Toledano in Verbindung. Anfangs dachte er, die Pergamentkeile könnten Skizzen für einen Schlüssel sein, der Versuch, ausreichend Varianten zu finden, um damit die über 1200 Türen abzuschließen, aber so, daß der König sie alle mit einem einzigen Schlüssel öffnen könnte. Doch später kam ihm die Vermutung,

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