Kryptum
von den Habsburgern gar das Hoheitsrecht für das Post- und Kurierwesen verliehen. Auf dem Gipfel ihrer Macht hatten die Taxis über 20 000 Kuriere. Die beste Verbindung mit den meisten Pferdewechselstationen gab es von Italien via Tirol nach Brüssel. Auf dieser Strecke erzielten die Kuriere die höchsten Geschwindigkeiten.«
»Wie viele Kilometer waren das?«
»Es waren rund 136 spanische Meilen, umgerechnet entspricht das etwa 760 Kilometern. Und das ist auch genau die Strecke, wo wir zum ersten Mal auf Randas Spuren stoßen. Die Quellen belegen, daß Raimundo Randa die Strecke von Mailand nach Brüssel in fünf Tagen bewältigte. Das ergibt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 152 Kilometern pro Tag. Das ist enorm viel für die damalige Zeit!… Er muß viele Pferde müde, wenn nicht gar zuschanden geritten haben, um das zu vollbringen. Damals schaffte ein gewöhnlicher Reiter üblicherweise neun spanische Meilen pro Tag, das sind etwa 50 Kilometer. Die Eilboten konnten diese Geschwindigkeit in etwa verdoppeln, wenn sie die besten Straßen benutzten, oft ihre Pferde wechselten, ihnen das Wetter keinen Strich durch die Rechnung machte und sie auch nicht gezwungen waren, wegen irgendwelcher Scharmützel oder Wegelagerer einen Umweg zu machen. Natürlich war so ein schneller Kurier für eine Privatperson nahezu unerschwinglich: wollte man, daß ein Brief den Empfänger in fünf statt in sieben Tagen erreichte, mußte man von vornherein mit dem dreifachen Botenlohn rechnen. Was nun Randas Auftrag betrifft, so schätze ich, daß allein die Kosten dieser Mission von Mailand nach Brüssel sich auf mindestens 1000 Dukaten belaufen haben müssen, etwa fünfmal soviel wie bei einem normalen Kurierdienst.«
»Halt, das geht mir zu schnell, wie kommen Sie denn jetzt auf diese Summe?«
|100| »Ganz einfach. Um solche Geschwindigkeiten zu erreichen, muß man alle zehn, spätestens jedoch nach zwölf Kilometern das Pferd wechseln. Bei 760 Kilometern kommt man so auf etwa 76 Tiere, sagen wir mal 80. Wenn wir pro Pferd sechs Dukaten ansetzen, was den historischen Quellen zufolge üblich war, sind das allein 480 Dukaten. Dazu kamen dann noch die Spesen, Zölle und Bestechungsgelder. Kurzum, ein wahres Vermögen: nur sehr wenige Leute mit hohen Posten verdienten soviel in einem ganzen Jahr. Ein Universitätsgelehrter konnte sich glücklich schätzen, wenn er gerade mal die Hälfte bekam … Doch entschuldigen Sie, wir sind von unserem eigentlichen Thema abgekommen. Wo war ich stehengeblieben?«
Bealfeld senkte den Blick auf seine Notizen.
»Sie erzählten von den Pergamentkeilen und dem dazugehörigen geheimen Briefwechsel zwischen Karl V. und Philipp II., mit dessen Verschlüsselung und Beförderung Randa offenbar betraut war … Und daß diese Dokumente in irgendeinem Zusammenhang mit dem Escorial stehen. Mir ist allerdings nach wie vor völlig schleierhaft, was das Ganze mit der Gegenwart zu tun hat, mit der Friedenskonferenz zwischen den Israelis und Palästinensern und dem spurlosen Verschwinden von Sara Toledano.«
»Um das herauszubekommen, müssen wir das Rätsel dieser Pergamentkeile entschlüsseln. Und das ist gar nicht so einfach. Meinem Vater ist es nicht gelungen. Den Keil, den wir hier in der Stiftung hüten, und die drei, die in der NSA aufbewahrt werden, konnte er nicht zusammenfügen. Sara ist allem Anschein nach ebensowenig hinter das Geheimnis gekommen, auch wenn sie vielleicht die einzige ist, die alle acht Keile des Pergaments gesehen hat. Begreifen Sie jetzt die Bedeutung dessen, was sie in ihrem Brief schreibt? Pedro und später Sara und danach auch ich, wir haben immer vermutet, daß die vier Keile Teile ein und desselben Pergaments sind, aber wir konnten es bisher nicht beweisen. Doch jetzt sieht die Sache natürlich schon ganz anders aus. Sara muß geahnt haben, daß sie im Klosterarchiv fündig wird, denn unmittelbar vor ihrer Abreise |101| nach Antigua hat sie – dem vehementen Widerstand unseres Geschäftsführers zum Trotz – noch den Apparat gekauft, den Sie dort drüben in der Ecke sehen und für den sie Unsummen ausgegeben haben muß. Mit diesem Gerät ist es möglich, mittels Infrarot- und U V-Strahlen nicht nur die Linien eines Schriftstücks, sondern vor allem auch dessen Maserung oder den Verlauf von Papierfasern zu verfolgen, was mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist. Kommen Sie, wir probieren es gleich mal aus.«
Mit diesen Worten stand David auf, nahm behutsam die vier
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