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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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denn jetzt?«
    Wortlos streckte Rachel die Hand zu Bealfeld aus, der ihr seine alte Lederaktentasche reichte. Die junge Frau zog eine Mappe heraus.
    »Meinen Sie die hier?«
    Sie
hatte sie also eingesteckt! Er konnte es nicht fassen.
    »Und das Gesetz?« fragte er.
    »Das ist das Gesetz«, antwortete sie. »Minspert hat uns unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß er nicht bereit ist, uns diese Dokumente auszuhändigen; wir wissen nicht einmal, ob diese Panne nicht ein abgekartetes Spiel war, um dafür auch eine offizielle Ausrede zu haben. Ich habe nur die Konsequenzen daraus gezogen und mir das genommen, was mir von Rechts wegen zusteht. Wie Sie heute morgen in der Stiftung.«
    Der Kryptologe starrte sie verblüfft an. Entweder hatte sie in den letzten Stunden eine innere Wandlung durchgemacht, oder sie war sich der Tragweite dessen nicht bewußt, was sie da gerade getan hatte.
    »Das ist weitaus schlimmer«, erklärte er. »Sie haben nicht nur Dokumente von einem der größten und mächtigsten Geheimdienste der Welt mitgehen lassen, sondern Sie sind auch noch dabei, Ihre Beute außer Landes zu schaffen. Auf den Schmuggel von kryptographischen Programmen stehen sehr, sehr hohe Strafen. Dieses Delikt wird genauso geahndet wie der Schmuggel von Waffen und Rüstungsgütern.«
    »Haben wir denn irgendeinen Zoll passiert?«
    »Also gut … Geben Sie mir die Mappe schon. Darin sind nämlich die drei Pergamentkeile, die Ihr Großvater von Speer gekauft hat. Ich möchte sehen, ob sie zu denen passen, die uns Ihre Mutter geschickt hat.«
    Die Mappe als Unterlage nutzend, begann er die verschiedenen |231| Teile hin und her zu schieben, wobei er sich an der Form der beiden orientierte, die er schon in der Stiftung hatte zusammenfügen können. Es dauerte ziemlich lange, doch schließlich hatte er es geschafft: Vor ihm lagen nun vier gleichseitige Dreiecke.

    »Das ist es. Jetzt haben wir zumindest schon mal ein Muster, die Dreiecke. Was wir allerdings noch nicht wissen, ist, ob diese vier Dreiecke ebenfalls irgendwie zusammenzufügen sind oder ob wir dazu noch weitere Keile brauchen, und wenn ja, wie viele … Mal sehen, was noch alles in der Mappe ist.«
    Er fand mehrere Stapel mit Lochkarten für IB M-Computer , die er gut kannte, weil er sie seinerzeit benutzt hatte, um das Programm seines Vaters zu aktualisieren. Als er weiterblätterte, entdeckte er etliche Bogen Millimeterpapier. Das war neu für David. Überrascht sah er sich die Bogen genauer an: Einige der Kästchen waren mit Tinte ausgemalt und bildeten geometrische Figuren. Das wirkte eher wie ein Spiel oder ein Teppichmuster als wie ein streng geheimes Projekt. Er blätterte weiter und stieß auf die eine oder andere Fotografie von Muscheln, Blumen, Tieren und ähnlichem. Aber wo waren die Unterlagen für das Programm CA-110?
    Er studierte die Papiere lange, sah sie ein ums andere Mal durch, kam aber einfach nicht dahinter, was das alles zu bedeuten hatte. Bealfeld und Rachel, die ihn die ganze Zeit schweigend beobachtet hatten, sahen die Enttäuschung in seinem Gesicht, waren aber feinfühlig genug, ihn bei seinen Überlegungen nicht zu stören.
    In Davids Kopf jagte ein Gedanke den anderen. Jetzt verstehe |232| ich, warum wir keine Schwierigkeiten hatten, die Mappe aus der Agency mitzunehmen, dachte er. Bis auf die drei Pergamentkeile, denen man wahrscheinlich keinerlei Bedeutung beimaß, ist das völlig wertloses Zeug; die echten Unterlagen hätte man sicher nie aus den Augen gelassen. Er fragte sich erneut, auf wessen Seite Rachel stand. Hatte sie sich für Minsperts Komödie hergegeben, oder hatte sie in gutem Glauben gehandelt? Konnte es nicht sein, daß Minspert sie wie beim letzten Mal benutzte, um ihn auszuschalten?
    Daher nickte er nur, als der Kommissar ihn zu beschwichtigen versuchte.
    »Vielleicht müssen Sie es sich mit mehr Ruhe ansehen. Jetzt ist sicher nicht der beste Moment dazu, wir sind alle ziemlich müde. Lassen Sie uns etwas essen, und dann versuchen wir, ein wenig zu schlafen. Morgen steht uns ein anstrengender Tag bevor.«
    Nach dem Abendessen schlief David als erster ein. Bealfeld blieb noch eine Weile wach und betrachtete die beiden jungen Leute. Er wurde das Gefühl nicht los, daß etwas sehr schwer auf den Calderóns und den Toledanos lastete. War es schon nicht leicht gewesen, den Kryptologen zu überreden, mit zur NSA zu kommen, so war das Problem nun, wie David und Rachel die Reise nach Antigua verkraften würden, dieser

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