Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
war mehr, als sie ertragen konnte.
»Wir werden schnell handeln müssen, Elischa«, erläuterte die heilige Mutter ihren Entschluss, »ein freier Bewahrer muss für dich gefunden werden, der für dich schon bald den Eid ablegt. Wenn herauskommen sollte, dass eine der Unseren einen Bewahrer getötet hat, könnte es zu einem Bruch zwischen unseren Orden kommen. Das darf auf keinen Fall geschehen. Als ich die schreckliche Nachricht erhielt, war ich rührig und habe sogleich mit dem hohen Vater gesprochen. Ein Bewahrer wird in Kürze in den Rang eines Lordmasters erhoben werden und fortan die Stelle Kaysahans am Kristallpalast einnehmen. Er ist ein idealer und aufstrebender Kandidat, der eines Tages sogar den Overlord beerben könnte. Seine Herkunft aus einem der mächtigsten Fürstenhäuser der Klanlande ist tadellos. Master Chromlion wird dir ein guter Bewahrer sein.«
»Master Chromlion?«, fragte Elischa fassungslos.
Es verschlug ihr die Sprache. Alleine die Nennung des Namens gab ihr einen Stich mitten ins Herz. Wie konnte ihr die heilige Mutter diesen Bewahrer für das zu knüpfende Band vorschlagen? Er war eitel, arrogant und gefährlich. Ein Feind Madhrabs. Vielleicht steckte er höchstselbst hinter den Intrigen gegen Madhrab und zeichnete verantwortlich für den Mord an Lordmaster Kaysahan?
Nein , dachte Elischa verzweifelt, niemals werde ich das Band mit Chromlion knüpfen. Eher sterbe ich.
»Nein«, sagte Elischa schließlich laut und deutlich. Sie sah der heiligen Mutter entschlossen in die Augen, ohne den Blick auch nur einmal abzuwenden, »das ist nicht akzeptabel. Ich knüpfe das Band entweder mit Madhrab oder mit keinem der Bewahrer.«
»Kind ...«, rief die heilige Mutter empört und sah dabei zur Seite, »wie kannst du meine Entscheidung anzweifeln? Eine Orna hat nicht das Recht, sich einen Bewahrer selbst zu wählen. Das weißt du sehr wohl. Ich will nur das Beste für dich.«
»... und vor allem für den Orden«, ergänzte Elischa schnippisch.
»Natürlich, ja, auch für den Orden. Das ist meine erste und vornehmste Aufgabe. Ich respektiere deinen Mut und verstehe deine Einstellung, die dich zu Madhrab halten lässt. Das ist ehrenwert. Aber es ist unvernünftig und gefährlich. Nicht nur für dich, sondern in erster Hinsicht für den Orden. Du wirst dich deshalb meinem Entschluss beugen und mit Chromlion das Band knüpfen«, zeigte sich die Mutter unnachgiebig.
»Aber deine erste Wahl lautete Madhrab«, erwiderte Elischa, »und daran halte ich mich.«
»Elischa, so sieh es doch ein«, seufzte die Mutter, »meine erste Wahl war bis zur Rückkehr des Lordmasters richtig. Danach haben sich die Ereignisse überstürzt. Die Wahl stellte sich als falsch heraus und ist somit hinfällig.«
»Wir können doch einen der besten Bewahrer nicht einfach wegen einer Intrige im Stich lassen«, versuchte Elischa die heilige Mutter zu überzeugen, »er hat die Klanlande vor der größten Bedrohung gerettet. Das ist, als verrieten wir ihn. Wir, die wir seine Freunde sind und zu ihm stehen sollten.«
»Vielleicht war genau dies sein größter Fehler«, meinte die heilige Mutter nachdenklich, »wir werden und dürfen nicht zu ihm stehen, Elischa. Er ist das Opfer im Spiel um die Macht über die Klanlande, das erbracht werden muss, um die Stärke und Unabhängigkeit der Orden aufrechtzuerhalten. Wer kann schon sagen, er sei der Beste der Bewahrer? Womöglich war er der Schlechteste und wir ließen uns blenden.«
»Das ist nicht gerecht!«, erregte sich Elischa, bis ihr Tränen in den Augen standen.
»Gerechtigkeit? Sie ist ein Trugbild der Idealisten, ein schöner Traum. Nicht mehr und nicht weniger. Es gibt keine Gerechtigkeit, wenn es um das Wohl und Wehe vieler und um die Macht geht. Nicht in der Vergangenheit, nicht heute und nicht in der Zukunft«, antwortete die heilige Mutter ernüchternd.
Die Verzweiflung über die Wahl stand Elischa ins Gesicht geschrieben. Master Chromlion sollte nach der Vorstellung der heiligen Mutter und des hohen Vaters ihr Bewahrer sein. Eine Entscheidung, mit der sie sich bis zum Tag der Vereidigungszeremonie nicht würde anfreunden können. Vielleicht war es besser, den Gedanken daran einfach zu verdrängen und sich zu überlegen, wie sie Lordmaster Madhrab helfen konnte.
Sick brachte einen Kessel mit glühenden Kohlen und Brandeisen mit, als er Madhrab zum vierten Mal aufsuchte. Der Lordmaster hatte es inzwischen aufgegeben, dem Foltermeister während der Torturen
Weitere Kostenlose Bücher