Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
gewöhnt hatten. Madhrab hatte den Besucher nie zuvor gesehen. Für ihn war er ein Fremder.
Der Mann war mittleren Alters und von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder gekleidet. Die Laterne trug er in der Linken, ein sorgfältig umwickeltes, mit Lederbändern verschnürtes Stoffbündel hielt er in der Rechten. Er hatte sich eine Glatze geschoren, nicht sehr geschickt, was die vielen kleinen Schnitte und Narben auf der Kopfhaut bewiesen.
Ein ergrauter, wild wuchernder Vollbart verdeckte den Großteil des ansonsten schmalen, kantigen Gesichtes und umrahmte dünne Lippen, über denen eine lange, krumme Nase hing. Die Kleidung war alt, das Leder spröde und an vielen Stellen abgewetzt. Seine ungepflegten Füße steckten in uralten Sandalen, in denen seine schmutzigen Zehen und die viel zu langen, nach unten gebogenen Fußnägel gut zu erkennen waren.
Der Klan war nicht sonderlich groß gewachsen. Aufgrund seines sehnigen Körperbaus stufte ihn der Lordmaster aber als zäh und widerstandsfähig ein. Dunkle, rot geränderte Augen zeigten Madhrab, dass der Mann ebenfalls viel Zeit in der Dunkelheit verbracht hatte.
»Wer seid Ihr?«, fragte Madhrab, dem das Sprechen mit ausgetrockneter Kehle schwerfiel.
Der Besucher hatte einen Schlauch mit frischem Wasser mitgebracht und gab Madhrab daraus einige Schluck zu trinken, was dieser begierig und dankbar annahm.
»Mein Name ist Sick«, sagte der Besucher schließlich freundlich lächelnd mit einer rauen Stimme, die aus den tiefsten Tiefen Krysons stammen musste, »mein halbes Leben habe ich im Kerker des hohen Vaters verbracht. Ich helfe den Wachen, wenn ich nicht gerade etwas anderes zu tun habe. Seit mehr als fünf Sonnenwenden habe ich kein Tageslicht mehr gesehen. Ich teile mein Lager mit Ratten, Spinnen, Käfern und seltsamen Träumen. Mit einigen meiner kleinen Freunde dürftet Ihr inzwischen Bekanntschaft geschlossen haben.«
»Was macht Ihr hier unten?«, hakte Madhrab nach. »Ihr könnt Euch offensichtlich frei im Kerker bewegen, was nicht jeder der Insassen von sich behaupten kann.«
»O ja ... natürlich. Ihr könnt es nicht wissen«, meinte Sick, »ich bin kein Gefangener und übe ein höchst seltenes, aber kunstvolles Handwerk aus.«
»Und das wäre?«, fragte Madhrab.
»Schade, dass Ihr noch nichts von mir gehört habt«, sagte Sick mit einem traurigen Gesichtsausdruck, »dabei bin ich doch schon so lange hier und erledige meine Arbeit. Unauffällig, still und leise. Jedenfalls kenne ich Euch gut, und für jemanden wie mich ist es etwas ganz Besonderes, einen Bewahrer zu sehen und mit ihm sprechen zu dürfen. So was gibt es nicht alle Tage.«
»Was wollt Ihr von mir?« Madhrabs Stimme klang ungeduldig.
»Ich will Euch nicht länger auf die Folter spannen, selbst wenn ich einen Meistertitel in dieser Disziplin trage. Ich bin ein Meister der Folter. Meine Aufgabe ist es, die Gefangenen zum Sprechen zu bringen. Das ist eine hohe Kunst. Bislang hat noch jeder gesagt, was ich hören wollte. Das könnt Ihr mir glauben. Sick ist einer der Besten in seinem Fach und bekommt die Wahrheit immer heraus.«
Sie schicken mir einen Foltermeister?, rasten die Gedanken durch seinen Kopf. Was hat das zu bedeuten? Wollen mich meine Brüder tatsächlich foltern lassen? Was wollen sie von mir hören?
»Ich kam, Euch ein paar Fragen zu stellen«, fuhr Sick fort, »vielleicht fangen wir einfach an, was meint Ihr? So eine wundervolle Gelegenheit erhalte ich selten.«
»Wenn Ihr mich foltert, töte ich Euch«, drohte Madhrab und rollte mit den Augen.
»Sachte, haltet ein ... ich mache nur meine Arbeit und folge den Anweisungen meiner Auftraggeber«, antwortete Sick achselzuckend, »es ist doch nichts Persönliches und im Grunde sehr einfach.«
»Wenn ich Euch töte, ist das auch nicht persönlich. Das könnt Ihr mir glauben.«
»Lordmaster Madhrab, ich denke nicht, dass Ihr in der Verfassung seid, mir zu drohen«, Sick klang verärgert. »Ich stelle die Fragen und Ihr antwortet. Gefällt mir die Antwort nicht oder entspricht sie nicht der Wahrheit, wiederholen wir die Fragestellung so lange, bis Ihr mir die richtige Antwort gegeben habt. Ihr dürft schreien. Hier unten hört Euch keiner.«
»Den Gefallen werde ich Euch nicht tun. Welches ist die richtige Antwort? Fragt und Ihr erhaltet das Wissen, nach dem ihr sucht. Ich habe nichts zu verbergen und stehe zu dem, was ich tat. Es ist nicht notwendig, mich zu foltern«, erwiderte Madhrab.
»Wir werden ja sehen. Eure Frage
Weitere Kostenlose Bücher